Ausgabe September 2000

Rußland zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Nach den Zerfallsszenarien am Ende der Jelzin-Ära verkörpert Putin für den Westen ein Mehr an innerer Stabilität und äußerer Berechenbarkeit, selbst wenn die Demokratie darunter leidet und die weit gehende Nichteinmischung in innere Angelegenheiten - siehe Tschetschenien - die Kluft zu Europa vertieft. Putins gleichberechtigte Teilnahme beim G 8-Gipfel in Japan im Juli befriedigte Russlands Bedürfnis nach Anerkennung. Eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, die Moskau Stimmrecht und Vetomacht einräumt, ist damit keineswegs dokumentiert. Russlands Platz am Tisch der reichsten Demokratien in Japan drückte mehr eine Option auf die Zukunft als tatsächliche Zugehörigkeit aus. Obschon sich einige im Westen beruhigen - es hätte mit Russland ja noch weitaus schlimmer kommen können -, die außenpolitische Erbschaft, die Putin zu überwinden trachtet, könnte kaum verheerender sein. Moskau ist wegen des Tschetschenienkrieges moralisch diskreditiert, unglaubwürdig aufgrund der tief verwurzelten Korruption und politisch, wirtschaftlich und technologisch vor allem erfolgreich in der Anti-Reklame für seinen Transformationspfad.

Die von Gorbatschow kreierte und von Jelzin übernommene Strategie - wenn der Westen nicht hilft, wird er für den Kollaps verantwortlich sein - hat sich ebenfalls erschöpft. In der zweiten Hälfte der 90er Jahre wurde es zunehmend einsam um Russland.

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Aktuelle Ausgabe November 2025

In der November-Ausgabe ergründen Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey die Anziehungskraft des demokratischen Faschismus. Frank Biess legt die historischen Vorläufer von Trumps autoritärer Wende offen – ebenso wie die Lebenslügen der Bundesrepublik. Daniel Ziblatt zieht Lehren aus der Weimarer Republik für den Umgang mit den Autokraten von heute. Annette Dittert zeigt, wie Elon Musk und Nigel Farage die britische Demokratie aus den Angeln zu heben versuchen. Olga Bubich analysiert, wie Putin mit einer manipulierten Version der russischen Geschichte seinen Krieg in der Ukraine legitimiert. Ute Scheub plädiert für die Umverteilung von Wohlstand – gegen die Diktatur der Superreichen. Sonja Peteranderl erörtert, inwiefern sich Femizide und Gewalt gegen Frauen mit KI bekämpfen lassen. Und Benjamin von Brackel und Toralf Staud fragen, ob sich der Klimakollaps durch das Erreichen positiver Kipppunkte verhindern lässt.

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