Gewiß, das Diktum des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) vom 22. März 2001 in der Sache Strelitz, Kessler, Krenz und K.-H. W. gegen Deutschland überrascht nicht, wie Georg Schirmer in seinem Kommentar feststellt. Wer Freisprüche für die vier "Mauerschützen", den direkten (Grenzsoldat) und die drei indirekten (hohe und höchste Funktionäre der ehemaligen DDR), erwartet hatte, war in der Tat blauäugig. Denn der EGMR ist weder Kassations- noch Verfassungsgericht mit Normkontrollbefugnis. Die Begründung des Urteils beginnt mit der Feststellung, daß der Gerichtshof gemäß Art. 19 lediglich die Einhaltung der Verpflichtungen der Staaten aus der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) Konvention sicherzustellen hat, und das war hier das Rückwirkungsverbot nach Art. 7 Abs. 1. Es obliegt den nationalen Gerichten, internes Recht auszulegen und anzuwenden, nicht dem Europäischen Gerichtshof, mögliche Fehler bei Sachverhaltsermittlung und Rechtsauslegung zu beseitigen. Am Sachverhalt, wie ihn die deutschen Gerichte ermittelt hatten, war also nicht zu rütteln.
So war zum Beispiel von der Existenz eines "Schießbefehls" mit quasi-normativem Richtliniencharakter auszugehen, der von höchster Stelle formuliert war und das positive Recht der DDR überlagert bzw. verdrängt habe.