Ausgabe Juni 2001

Mehr Ungleichheit wagen?

Zum anhaltenden Boom der Egalitarismuskritik

Auf Gerechtigkeit berufen sich nicht nur Kritiker der realen Ungleichheit in der Gesellschaft, sondern auch die Gegner des Gleichheitsideals, des so genannten Egalitarismus. Besorgt verweisen Egalitarismuskritiker aller Länder darauf, daß selbst ein Jahrzehnt nach der Implosion des größten Gleichheitsexperiments immer noch Restbestände der Gleichheitsideologie, vor allem in Westeuropa, schweren Schaden anrichten. Moderne Reformer aller Parteien müssten daher weiter gegen jenen zählebigen linken Traditionalismus kämpfen und der realistischen Einsicht zum Sieg verhelfen: Nicht Gleichheit diene dem Gemeinwohl, sondern "Gerechtigkeit" also Ungleichheit. Denn die unterschiedliche persönliche Leistungsfähigkeit der Menschen führt zu ungleichen Ergebnissen. Diese durch sozialstaatliche Umverteilung wieder ausgleichen zu wollen, würde sowohl gegen die Gerechtigkeit verstoßen als auch die gesellschaftliche Dynamik lähmen. "Gesellschaften mit mehr Ungleichheit sind dynamischer", predigt unter anderen Bundeswirtschaftsminister Werner Müller.

Auch die Diskurse über Grundsatzfragen unserer Gesellschaft vermitteln den Eindruck: Teile der intellektuellen Eliten aller Richtungen empören sich mehr über Gleichheit als über Ungleichheit.

Sie haben etwa 5% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 95% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (1€)
Digitalausgabe kaufen (10€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe Oktober 2025

In der Oktober-Ausgabe wertet Seyla Benhabib das ungehemmte Agieren der israelischen Regierung in Gaza als Ausdruck einer neuen Ära der Straflosigkeit. Eva Illouz ergründet, warum ein Teil der progressiven Linken auf das Hamas-Massaker mit Gleichgültigkeit reagiert hat. Wolfgang Kraushaar analysiert, wie sich Gaza in eine derart mörderische Sackgasse verwandeln konnte und die Israelsolidarität hierzulande vielerorts ihren Kompass verloren hat. Anna Jikhareva erklärt, warum die Mehrheit der Ukrainer trotz dreieinhalb Jahren Vollinvasion nicht zur Kapitulation bereit ist. Jan Eijking fordert im 80. Jubiläumsjahr der Vereinten Nationen mutige Reformen zu deren Stärkung – gegen den drohenden Bedeutungsverlust. Bernd Greiner spürt den Ursprüngen des Trumpismus nach und warnt vor dessen Fortbestehen, auch ohne Trump. Andreas Fisahn sieht in den USA einen „Vampirkapitalismus“ heraufziehen. Und Johannes Geck zeigt, wie rechte und islamistische Rapper Menschenverachtung konsumierbar machen.

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema

Flucht vor der Verantwortung: Lieferkettengesetze am Ende?

von Merle Groneweg

Der 11. September erinnert nicht nur an den Einsturz des World Trade Centers in New York, sondern auch an eine der schwersten Katastrophen in der Textilindustrie: den Brand in der Fabrik Ali Enterprises in Karatschi, Pakistan.

Ohne EU-Mindestlohn kein soziales Europa

von Roland Erne

Nach Jahren antisozialer Politik infolge der Finanzkrise von 2008 standen soziale Fragen in der vergangenen Legislatur der EU wieder weiter oben auf der Agenda. Zwischen 2022 und 2024 verabschiedeten das EU-Parlament und der Rat seit langem wieder mehrere soziale EU-Gesetze, darunter die Richtlinie über „angemessene Mindestlöhne in der Europäischen Union“.

Drei Millionen ohne Abschluss: Was tun?

von Maike Rademaker

Die Zahl war lediglich einen Tag lang einige Schlagzeilen wert: Rund 2,9 Millionen junge Menschen zwischen 20 und 34 Jahren hierzulande haben keinen Berufsabschluss. Maike Rademaker analysiert Gründe und Lösungsansätze.