Als König Mohammed VI. im Juli 1999 seinem Vater Hassan II. auf den Thron folgte, wurde er schnell zu einer Symbolfigur für die Hoffnung auf ein demokratisches Marokko. Er bleibt jedoch - trotz einiger Anzeichen für eine Abwendung vom autokratischen Regierungsstil seines Vaters - den Zwängen des autoritären Systems, das er erbte, unterworfen. Die demokratischen Kräfte Marokkos bezweifeln nun, daß einer politischen Reform Aussicht auf Erfolg beschieden sei, wenn nicht zugleich grundlegende Änderungen des Systems erfolgen. Die Marokkaner glauben nicht daran, daß Ungerechtigkeit und Korruption abgeschafft werden können, solange die sogenannten "Stahlmasken" - die alte Garde von Ratgebern, Würdenträgern und hohen Offizieren - an der Seite des Königs sitzen. Doch weder die pro-demokratischen politischen Parteien, die vom Volk isoliert sind, noch die Islamisten, die über keine glaubwürdigen Pläne zur Modernisierung oder Demokratisierung des Landes verfügen, haben das Potential, das autoritäre System herauszufordern. Die politische Krise Marokkos geht über die Probleme, die sich normalerweise mit Liberalisierung und Demokratisierung verbinden, hinaus. Gewöhnlich handelt es sich darum, eine weltliche Macht zu mehr Verantwortlichkeit gegenüber ihren Bürgern zu verpflichten.
In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist.