Wenn diese Zeilen im Druck erscheinen, wird die Abrißbirne dem Café El Biógrafo bereits den Garaus gemacht haben. Damit hört Santiagos politisch temperiertes Bohème-Herz zu schlagen auf. Chiles Kapitale wird erneut um einige Grade anständiger; oder, wenn man so will, langweiliger. Das vermerkt melancholisch nicht nur der Autor dieser Zeilen, der Santiago de Chile seit 1968 periodisch besucht, sondern zum Beispiel auch der chilenische Krimi-Autor Ramón Díaz Eterovic, dessen übermäßig Wodka trinkender Detektiv Heredia mit seinem Kater namens Simenon debattiert und das Verschwinden vertrauter Kneipen beklagt.
Díaz Eterovic, dessen Bösewichter bei diffusen Geheimdienst-Seilschaften aufund untertauchen, wird vom Diogenes-Verlag gerade in den deutschen Sprachraum eingeführt. Santiago de Chile war immer die Stadt der Cafés, der Kneipen, der Kaschemmen, in denen man bei gutem Wein stundenlang diskutierte, um nach Mitternacht rauschhaft der Poesie zu verfallen. Auch Manfred Max-Neef, Chiles alternativer Nobelpreisträger mit zeitweiligem Hauptquartier im El Biógrafo, trauert der Bohème-Vergangenheit nach, zwischen 1964 und 1973 kulturell zudem außerordentlich kreativ.