Ausgabe November 2002

Eher Nietzsche als Hobbes

Kagans Beobachtungen treffen weitgehend zu. Ja, die Europäer haben einen anderen Zugang zu den Fragen der internationalen Politik als die USA, die das Völkerrecht zunehmend als eine lästige Fessel und nicht als einen „gentle civilizer of nations“ (Koskenniemi) empfinden. Auch kann das in Europa verbreitete Lamentieren über US-amerikanischen Unilateralismus und hegemoniales Gebaren immer weniger eine gewisse innere europäische Unaufrichtigkeit verbergen: Wenn Europa von den USA und der übrigen Welt als gleichberechtigter globaler Ordnungsfaktor ernst genommen werden will, dann müsste es auch bereit sein, die dafür erforderlichen erheblichen Anstrengungen und Entbehrungen auf sich zu nehmen, sprich: die Prioritäten seiner politischen Agenda zu verändern und seine militärischen Etats zu Lasten der Ausgaben für den inneren sozialen Frieden und einen angenehmen Wohlstand zu erhöhen. Eine Weltmacht, die für ihre eigene Sicherheit nicht sorgen kann, ist ein Selbstwiderspruch. Und schließlich – ich zitiere mich hier selbst1 – einer Hegemonialmacht vorzuwerfen, dass sie sich hegemonial benehme, ist so – um eine Metapher von Josef Schumpeter abzuwandeln – als werfe man einem Mops vor, dass er sich keinen Wurstvorrat anlegt.

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Aktuelle Ausgabe November 2025

In der November-Ausgabe ergründen Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey die Anziehungskraft des demokratischen Faschismus. Frank Biess legt die historischen Vorläufer von Trumps autoritärer Wende offen – ebenso wie die Lebenslügen der Bundesrepublik. Daniel Ziblatt zieht Lehren aus der Weimarer Republik für den Umgang mit den Autokraten von heute. Annette Dittert zeigt, wie Elon Musk und Nigel Farage die britische Demokratie aus den Angeln zu heben versuchen. Olga Bubich analysiert, wie Putin mit einer manipulierten Version der russischen Geschichte seinen Krieg in der Ukraine legitimiert. Ute Scheub plädiert für die Umverteilung von Wohlstand – gegen die Diktatur der Superreichen. Sonja Peteranderl erörtert, inwiefern sich Femizide und Gewalt gegen Frauen mit KI bekämpfen lassen. Und Benjamin von Brackel und Toralf Staud fragen, ob sich der Klimakollaps durch das Erreichen positiver Kipppunkte verhindern lässt.

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Am Anfang stand der 11. September 2001. Danach wurde die Lawine losgetreten: Ein langsamer, aber unaufhaltsamer Erdrutsch erfasste die internationale rechtliche und politische Ordnung. Ein Erdrutsch, der nach und nach die supranationalen Institutionen und die stets fragile, aber nie völlig illusorische Utopie einer friedlichen und auf dem Recht basierenden Weltordnung tief erschüttert hat