Ausgabe Dezember 2005

Große Koalition aus englischer Sicht

Wenn es nicht gerade um Adolf Hitler, Welt- oder „Blitzkrieg“ geht, kommt die Bundesrepublik bei den Briten in der Regel kaum vor. Ihnen ist Deutschland immer noch irgendwie unheimlich, unberechenbar und eher gefährlich. Nun hat Deutschland im vergangenen Jahrhundert ja auch allerlei Veranlassung gegeben, ihm zu misstrauen – und so wenig Großbritannien vollends in die Hände der Brüsseler Bürokratie oder gar in die Abhängigkeit vom Euro geraten möchte, so sehr will man Abstand zu den Deutschen halten. Umso mehr jetzt, da die britische Wirtschaft, die jahrelang brummte, höhere Löhne und mehr Wohlstand brachte, neuerdings ins Schleudern gerät. Die jüngeren deutschen Aktivitäten in Großbritannien, vor allem die von BMW, sind unvergessen – wurden sie doch als ausgesprochen aggressiv empfunden.

Die Briten können auch das deutsche Verhältniswahlrecht nicht verstehen, das es dem Wählerwillen so gerecht wie nur irgend möglich machen möchte – und genau so fremd ist ihnen die traditionelle Pflicht einer Partei ohne absolute Mehrheit, sich einen Koalitionspartner zu suchen, um regieren zu können. In Großbritannien gilt in jedem Wahlkreis das absolute Mehrheitswahlrecht. Wer gewinnt, kommt ins Parlament – und die Stimmen für den Verlierer werden nicht etwa über Landeslisten gutgeschrieben und gar in so genannten Überhangmandaten verrechnet – sie sind einfach verloren.

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In der Dezember-Ausgabe ergründet Thomas Assheuer, was die völkische Rechte mit der Silicon-Valley-Elite verbindet, und erkennt in Ernst Jünger, einem Vordenker des historischen Faschismus, auch einen Stichwortgeber der Cyberlibertären. Ob in den USA, Russland, China oder Europa: Überall bilden Antifeminismus, Queerphobie und die selektive Geburtenförderung wichtige Bausteine faschistischer Biopolitik, argumentiert Christa Wichterich. Friederike Otto wiederum erläutert, warum wir trotz der schwachen Ergebnisse der UN-Klimakonferenz nicht in Ohnmacht verfallen dürfen und die Narrative des fossilistischen Kolonialismus herausfordern müssen. Hannes Einsporn warnt angesichts weltweit hoher Flüchtlingszahlen und immer restriktiverer Migrationspolitiken vor einem Kollaps des globalen Flüchtlingsschutzes. Und die Sozialwissenschaftler Tim Engartner und Daniel von Orloff zeigen mit Blick auf Großbritannien und die Schweiz, wie wir dem Bahndesaster entkommen könnten – nämlich mit einer gemeinwohlorientierten Bürgerbahn. 

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