Westdeutschland und die Ideen der ersten Stunde
Die bedingungslose Kapitulation des Deutschen Reiches am 8. Mai 1945 und der nahezu vollkommene gesellschaftliche Zusammenbruch können als die politische Stunde Null der deutschen Geschichte angesehen werden. Nach einer Phase der Neubesinnung, die nur wenige Jahre über das Gründungsdatum der Bundesrepublik Deutschland am 23. Mai 1949 hinausreichte, zogen die westdeutschen Politiker der ersten Stunde (Frauen waren kaum darunter) die Konsequenzen aus der Katastrophe des Nationalsozialismus. Doch welche Konzeptionen hatten die westdeutschen Politiker der ersten Stunde – die ostdeutschen verfügten diesbezüglich kaum über einen Spielraum – von dem neu zu gründenden deutschen Staatswesen, von Deutschlands politischer Zukunft?
Um es vorwegzunehmen: Unter dem entscheidenden, nämlich demokratietheoretischen Aspekt könnte der Abstand zwischen den damaligen Ideen und Forderungen und der heutigen Situation kaum größer sein. Denn das Demokratieverständnis der deutschen Politiker der ersten Stunde war aufs Engste mit der Kapitalismusfrage verknüpft – und dadurch mit grundsätzlichen Entscheidungen über die Wirtschaftsordnung. Das aber hatte und hat immense Auswirkungen auf die damals wie heute hoch brisante Frage nach den Voraussetzungen für gesellschaftlichen Zusammenhalt.