
Bild: Eine Frau betet während einer Demonstration gegen Gewalt in Cali, 15.6.2025 (IMAGO / Anadolu Agency)
Die Karte, die die spanische Krone für ihre Kolonien in Amerika bereitstellte, hieß „Padrón Real“. Doch sie war nicht geeignet, die reale Geographie des Kontinents darzustellen. Versuche, die Krone dazu zu bringen, das Kartenmaterial zu verbessern, scheiterten bis ins späte 16. Jahrhundert. Eifersüchtig wachte der Königshof über das Monopol, die „Wahrheit“ über die Kolonien abzubilden, und verpflichtete die Seefahrer, den Padrón Real zu benutzen. Die Kapitäne nahmen auf dem Weg in die Neue Welt deswegen oft zwei Seekarten mit: die königliche, untaugliche und, heimlich, genauere, aber verbotene Karten aus privater Herstellung.[1] Damit ist nicht nur eine der Konstanten der Geschichte Lateinamerikas der vergangenen 500 Jahre grob skizziert, sondern auch ein Grund für das absehbare Scheitern der ersten linken Regierung Kolumbiens unter dem 2022 gewählten Präsidenten Gustavo Petro. Denn das südamerikanische Land ist gleichsam zweigeteilt: in die Welt der offiziellen, sichtbaren Normen, die pseudodemokratische Oberfläche, und die unsichtbare Welt der Macht, die sich im hermetisch geschlossenen Kreis der postkolonialen Elite konzentriert. Die zahllosen und sich teils widersprechenden Gesetze und Vorschriften über die Ausübung der öffentlichen Gewalt sind untauglich, politische Entscheidungen in rechtsförmiges und damit legitimes und verlässliches Handeln zu überführen.