Ausgabe September 1990

Ein Menschenwissenschaftler

Zum Tode von Norbert Elias

Wer sich mit der bundesdeutschen Resonanz auf Norbert Elias *) beschäftigt, der trifft unweigerlich auf diese Interpretation seines Werkes: Den soziologischen Arbeiten von Elias, heißt es da, hafte etwas Unpolitisches an, seine Soziologie deute die Fakten, doch fehle es ihr an politischer Vision. Diese Interpretation des Elias-Werkes ist von den einen kritisch, von anderen Interpreten ist sie zustimmend gemeint. Falsch ist sie deswegen, weil sie an dem Problem, um das es Elias wirklich ging, vorbeigeht. Elias selbst spricht seine Sicht der Dinge in seinen "Notizen zum Lebenslauf" an, die er im Jahre 1985 niederschrieb:

" Es gab einmal eine große Begeisterung für den Kommunismus, Menschen haben ihr Leben geopfert - und schauen Sie, was daraus geworden ist. Es gab eine Begeisterung für den Liberalismus, amerikanische Präsidenten und Ökonomen glauben immer noch an ihn - und sind sie in irgendeiner Weise imstande, unserer ökonomischen Misere abzuhelfen? Sie handeln, als ob sie Bescheid wüßten, aufgrund von Idealen, aber in Wirklichkeit wissen sie nicht, wie die Wirtschaft und wie Staaten funktionieren. Es müßte mehr Menschen geben, die keine Angst vor dem haben, was sie entdecken, wie die Dinge wirklich sind. Das ist das Ethos eines Wissenschaftlers." ("Über sich selbst", S.

September 1990

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In der November-Ausgabe ergründen Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey die Anziehungskraft des demokratischen Faschismus. Frank Biess legt die historischen Vorläufer von Trumps autoritärer Wende offen – ebenso wie die Lebenslügen der Bundesrepublik. Daniel Ziblatt zieht Lehren aus der Weimarer Republik für den Umgang mit den Autokraten von heute. Annette Dittert zeigt, wie Elon Musk und Nigel Farage die britische Demokratie aus den Angeln zu heben versuchen. Olga Bubich analysiert, wie Putin mit einer manipulierten Version der russischen Geschichte seinen Krieg in der Ukraine legitimiert. Ute Scheub plädiert für die Umverteilung von Wohlstand – gegen die Diktatur der Superreichen. Sonja Peteranderl erörtert, inwiefern sich Femizide und Gewalt gegen Frauen mit KI bekämpfen lassen. Und Benjamin von Brackel und Toralf Staud fragen, ob sich der Klimakollaps durch das Erreichen positiver Kipppunkte verhindern lässt.

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