Ausgabe Januar 1991

Vom Gewinn der Niederlage

In einem der wenigen erhaltenen Briefe des griechischen Philosophen Epikur schrieb dieser vom Totenbett an einen Freund, ihm ging es bestens, denn "die Schmerzen können nicht mehr schlimmer werden".

Zwar kann in der Politik alles noch schlimmer kommen, aber die epikureische Haltung würde sich doch nützlich auf die Analyse des Wahlergebnisses und der Perspektiven der Opposition auswirken.

Nun wissen wir, woran wir sind; ein Versteckspiel gibt es nicht mehr, sollte es nicht mehr geben. Das Problem steckt nicht in der unionsgeführten und bestätigten Mehrheit im neuen gesamtdeutschen Bundestag; dieses Ergebnis war besser vorhersehbar als je zuvor.

Aber die Tatsache, daß das Resultat so klar scheinen konnte - und doch noch genug böse Überraschungen barg, das bezeichnet die Richtung, wo die tatsächlichen Probleme zu suchen sind.

I

Das fängt mit den Begleitbedingungen dieser zwölften Bundestagswahl an, die eigentlich eine erste hätte sein müssen. Eine historische Wahl war verkündet worden, die erste gesamtdeutsche. Und nach den Gepflogenheiten einer Republik hätte man einen konstitutiven Akt des Neuanfangs erwarten dürfen. Davon ist nichts übriggeblieben. Das CDU-Motto "Weiter so" ist in's Staatswappen Einheitsdeutschlands eingenäht worden. Nadel und Faden fanden sich "gem. Artikel 23 GG".

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