Polemische Einwürfe
Zu Jahresanfang wurden die Stasi-Akten einsehbar. Unser Fernsehen zeigte allabendlich die verfolgte Dissidenten-Prominenz beim Studium der prallen Ordner und Schnellhefter. Die zarte Stimme von Bärbel Bohley erkenne ich seitdem selbst im Massengemurmel, die Tränen der Vera Wollenberger sehe ich im Traume noch wangenabwärts rollen, die leidgeprüften Satzkonstrukte von Jürgen Fuchs vergesse ich lebenslang nicht, und daran ändern auch die jederzeit bereitwilliig nachgeschobenen Erläuterungen des notorisch vernünftigen Lutz Rathenow nichts mehr.
Am spannendsten wirkten die leidenschaftlichen Erregungen unserer Fernsehmoderatoren, wie sie anklagend ihre Zeigefinger gegen den Feind im Osten steilten, und ich erinnere mich verschämt, wie fromm, wo nicht duckmäuserisch sie gekauderwelscht hatten, als die Parteistaaten im Osten noch mächtig gewesen sind, doch jetzt nach dem Sieg gibt es im Osten nur noch böse Stasis. Am 25. Januar 1992 las ich dann in der "Frankfurter Allgemeinen" den Artikel "Die Täter waren Täter" von Bärbel Bohley, in dem sie sich und ihre Freunde als eindeutige Opfer bezeichnet, die Kirchenvertreter wie Stolpe oder ihren eigenen Anwalt Gregor Gysi aber des Opportunismus, wo nicht der komplizenhaften Mittäterschaft beschuldigt.