Vor kurzem hat der Franziskaner Leonardo Boff, eine der wichtigsten Gestalten der Theologie der Befreiung, sein Priesteramt niedergelegt und ist aus dem Orden ausgetreten. Das ist das Ende eines zwanzig Jahre währenden Kampfes mit der Großinstitution, die Boff nach Strich und Faden verwarnt und gemaßregelt, bespitzelt, kontrolliert und schikaniert hat. "Wer sich ständig beugt, wird am Ende krumm", sagte Boff nach Jahren einer nicht ohne List praktizierten Demut. Viele Menschen werden diese Nachricht mit befriedigter Häme aufnehmen; haben sie's doch schon immer gewußt: die Unglaubwürdigkeit der christlichen Kirchen ist schließlich unübersehbar.
So schlau will ich, zur Minderheit derer gehörend, die eine europäische Befreiungstheologie zu entwickeln versuchen, nicht sein. Mich schmerzt das Faktum. Es ist nicht nur eine Niederlage Roms. Es ist auch ein spiritueller Bankrott, der die Basis für Befreiungsarbeit schmälert. Die seit etwa einem Vierteljahrhundert bestehende lateinamerikanische Theologie der Befreiung läßt sich in mancher Hinsicht mit den vorreformatorischen Bewegungen oder gar der Reformation in Europa vergleichen: eine andere soziale Klasse meldet sich zu Wort, die Marginalisierten der Elendswelt organisieren sich zu Basisgemeinden, "Stumme fangen an zu reden".