Rostock-Lichtenhagen im August 1992: das waren drei Skandale. Der erste bestand darin, daß die Ausschreitungen überhaupt möglich waren und von der Menge der Anwohner wohlwollend verfolgt wurden. Der zweite bestand darin, daß für einen Moment lang das staatliche Gewaltmonopol auf der Straße lag und die Polizei die Brandstifter gewähren ließ. Und der dritte schließlich bestand in der Reaktion fast aller namhaften Politikerinnen und Politiker. Dieser unscheinbare Skandal war in Wahrheit der schlimmste. Sicher, tags darauf gaben alle pflichtschuldig ihre Abscheu zu Protokoll.
Doch schon im nächsten Satz nahmen sie ihre alltäglichen Querelen wieder auf. Von Rudolf Seiters bis Rita Süßmuth sprachen sie sofort wieder vom Artikel 16 GG, der nun bitteschön zügig geändert werden müsse, und nutzten damit in niederträchtiger Weise die Ausschreitungen von Rostock, um die andere große Partei unter Druck zu setzen. Es gibt Situationen, in denen allein die Solidarität mit den Opfern zählt. Das war eine solche Situation. Hier hätte sich erweisen müssen, daß die vielbeschworene "Gemeinsamkeit der Demokraten" mehr ist als eine Floskel. Angesichts solcher Ereignisse die nicht nach einem Endpunkt, sondern eher nach einem Anfang aussahen - hätte der Parteienstreit der Routiniers ruhen müssen.