Ausgabe Juni 2004

Demographischer Wandel und demographischer Schwindel

Zur Debatte um die gesetzliche Krankenversicherung

Da die Mehrheit der Bevölkerung existenziell auf die sozialstaatlichen Sicherungen angewiesen ist und ihren Abbau ablehnt, haben restriktive Strategien in der Demokratie Legitimationsprobleme. Sie werden meist nicht offen debattiert, sondern erscheinen im Gewand von Sachzwängen. Wenn die Sachzwänge öffentlich zu einem Bedrohungsszenario dramatisiert worden sind, werden Restriktionen zu scheinbar zwingenden Schlussfolgerungen, ja Rettungstaten. So sagt der SPD-Vorsitzende Müntefering: "Wir Sozialdemokraten haben in der Vergangenheit die drohende Überalterung unserer Gesellschaft verschlafen. Jetzt sind wir aufgewacht. Unsere Antwort heißt: Agenda 2010! Die Demographie macht den Umbau unserer Sozialsysteme zwingend notwendig."1

Es kennzeichnet die gegenwärtige Situation, dass inhaltsgleiche Aussagen von Vertretern aller Parteien und ihrer Sachverständigen zu hören sind. Vereinheitlichend wirkt, dass Sozialpolitik im Bezugsrahmen (Frame) von demographischer Alterung und Globalisierung thematisiert wird. Das Framing eines öffentlichen Diskurses orientiert die Problemsicht auf ein Primärziel, an dem die anderen Ziele und Werte relativiert werden, grenzt bestimmte Handlungsoptionen aus und legt andere nahe.

Sie haben etwa 4% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 96% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (1€)
Digitalausgabe kaufen (10€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe November 2025

In der November-Ausgabe ergründen Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey die Anziehungskraft des demokratischen Faschismus. Frank Biess legt die historischen Vorläufer von Trumps autoritärer Wende offen – ebenso wie die Lebenslügen der Bundesrepublik. Daniel Ziblatt zieht Lehren aus der Weimarer Republik für den Umgang mit den Autokraten von heute. Annette Dittert zeigt, wie Elon Musk und Nigel Farage die britische Demokratie aus den Angeln zu heben versuchen. Olga Bubich analysiert, wie Putin mit einer manipulierten Version der russischen Geschichte seinen Krieg in der Ukraine legitimiert. Ute Scheub plädiert für die Umverteilung von Wohlstand – gegen die Diktatur der Superreichen. Sonja Peteranderl erörtert, inwiefern sich Femizide und Gewalt gegen Frauen mit KI bekämpfen lassen. Und Benjamin von Brackel und Toralf Staud fragen, ob sich der Klimakollaps durch das Erreichen positiver Kipppunkte verhindern lässt.

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema

Flucht vor der Verantwortung: Lieferkettengesetze am Ende?

von Merle Groneweg

Der 11. September erinnert nicht nur an den Einsturz des World Trade Centers in New York, sondern auch an eine der schwersten Katastrophen in der Textilindustrie: den Brand in der Fabrik Ali Enterprises in Karatschi, Pakistan.

Ohne EU-Mindestlohn kein soziales Europa

von Roland Erne

Nach Jahren antisozialer Politik infolge der Finanzkrise von 2008 standen soziale Fragen in der vergangenen Legislatur der EU wieder weiter oben auf der Agenda. Zwischen 2022 und 2024 verabschiedeten das EU-Parlament und der Rat seit langem wieder mehrere soziale EU-Gesetze, darunter die Richtlinie über „angemessene Mindestlöhne in der Europäischen Union“.

Drei Millionen ohne Abschluss: Was tun?

von Maike Rademaker

Die Zahl war lediglich einen Tag lang einige Schlagzeilen wert: Rund 2,9 Millionen junge Menschen zwischen 20 und 34 Jahren hierzulande haben keinen Berufsabschluss. Maike Rademaker analysiert Gründe und Lösungsansätze.