Ausgabe Dezember 2004

Zwangsjacke NATO-Integration

Bei der Verfügung über die militärischen Machtmittel des Landes unterliegt die Bundesregierung engeren rechtlichen Grenzen als die politischen Führungen vergleichbarer Staaten rund um den Erdball, Japan ausgenommen. Außer zur Verteidigung, das heißt zur Abwehr eines bewaffneten Angriffs auf das Bundesgebiet oder das Territorium eines Bündnispartners, darf die Bundeswehr nur eingesetzt werden, sofern das Grundgesetz es ausdrücklich zulässt. Was genau die Verfassung jenseits des Verteidigungsfalls noch zugesteht, war in den frühen 90er Jahren Gegenstand erbitterter innenpolitischer Auseinandersetzungen. Zwar erlaubt das Grundgesetz der Bundesrepublik, im Rahmen eines Systems kollektiver Sicherheit friedenswahrend zu wirken - was aber ist ein System kollektiver Sicherheit? Das Bundesverfassungsgericht beendete den Streit vor zehn Jahren mit einer eigenwilligen Auslegung. Entgegen der vorherrschenden Auffassung in Völkerrecht und Politikwissenschaft befand es, dass darunter nicht nur eine internationale Organisation wie die UNO zu verstehen sei, sondern auch ein militärisches Bündnis wie die NATO.

War damit nun jedem beliebigen Streitkräfteeinsatz Tür und Tor geöffnet? Die Karlsruher Richter schienen über den Federstrich selbst erschrocken. Sogleich errichteten sie eine neue Schranke gegen die ausufernde Entsendung deutscher Soldaten in alle Welt.

Sie haben etwa 14% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 86% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (1€)
Digitalausgabe kaufen (10€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe Oktober 2025

In der Oktober-Ausgabe wertet Seyla Benhabib das ungehemmte Agieren der israelischen Regierung in Gaza als Ausdruck einer neuen Ära der Straflosigkeit. Eva Illouz ergründet, warum ein Teil der progressiven Linken auf das Hamas-Massaker mit Gleichgültigkeit reagiert hat. Wolfgang Kraushaar analysiert, wie sich Gaza in eine derart mörderische Sackgasse verwandeln konnte und die Israelsolidarität hierzulande vielerorts ihren Kompass verloren hat. Anna Jikhareva erklärt, warum die Mehrheit der Ukrainer trotz dreieinhalb Jahren Vollinvasion nicht zur Kapitulation bereit ist. Jan Eijking fordert im 80. Jubiläumsjahr der Vereinten Nationen mutige Reformen zu deren Stärkung – gegen den drohenden Bedeutungsverlust. Bernd Greiner spürt den Ursprüngen des Trumpismus nach und warnt vor dessen Fortbestehen, auch ohne Trump. Andreas Fisahn sieht in den USA einen „Vampirkapitalismus“ heraufziehen. Und Johannes Geck zeigt, wie rechte und islamistische Rapper Menschenverachtung konsumierbar machen.

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema

Die neue Merz-Doktrin?

von Jürgen Trittin

Jahrzehntelang durfte in keiner Grundsatzrede eines deutschen Politikers in Regierungsverantwortung der Satz fehlen: „Wir setzen auf die Stärke des Rechts statt auf das Recht des Stärkeren.“ Doch das war einmal. Bundeskanzler Merz‘ lautstarkes Räsonieren über den Krieg Israels gegen den Iran markiert den Bruch mit dieser Tradition.

Eigennutz statt Solidarität

von Klaus Seitz

Etwa eine Milliarde Euro weniger als im vergangenen Jahr steht dem Bundesentwicklungsministerium 2025 zur Verfügung. Doch nicht nur der Spardruck macht der Entwicklungszusammenarbeit zu schaffen, auch die strategische Neuausrichtung gefährdet ihre Zukunftsfähigkeit.

Besser als ihr Ruf: Die europäische Afrikapolitik

von Roger Peltzer

Schon unter Angela Merkel hat der afrikanische Kontinent in der deutschen Bundesregierung große politische Aufmerksamkeit erfahren. Die Ampelregierung setzt diesen Kurs fort: Seit seinem Amtsantritt reiste Bundeskanzler Olaf Scholz jedes Jahr nach Afrika.