Ausgabe Januar 2006

Kontinuität jenseits des Rechts

1998, Rot-Grün war bereits gewählt, aber noch nicht im Amt, da stand eines schon fest: Diese Regierung würde gegen geltendes Völkerrecht verstoßen. Unmittelbar nach der Wahl war die Regierung vom damaligen US-Präsidenten Clinton dazu vergattert worden, am absehbaren Jugoslawien-Krieg teilzunehmen, dem ersten Krieg einer Bundesregierung – noch dazu ohne UN-Mandat. Die Regierung Schröder fügte sich in vorauseilendem Gehorsam, ohne ernsthaften Widerspruch zu wagen. Schließlich hatte die Regierung Kohl, insbesondere der damalige Verteidigungsminister Volker Rühe, auch gezielt auf die Kriegsbeteiligung hingewirkt. So kam es am 16. Oktober 1998 zu einem Novum in der Parlamentsgeschichte der Bundesrepublik: Drei Wochen nach der Bundestagswahl und noch vor Konstituierung der neuen Regierung beschloss der alte Bundestag in einer Sondersitzung den „Aktivierungsbefehl“: Von 580 Abgeordneten billigte eine ganz große Koalition von 500 MdBs die Bereitstellung von 14 Kampfflugzeugen und 500 Soldaten der Bundeswehr für den geplanten NATO-Einsatz.

Sieben Jahre und eine Große Koalition später drohen sich die Ereignisse zu wiederholen: Handelte es sich jedoch 1998 um einen verfassungs- und völkerrechtswidrigen Militäreinsatz, geht es heute um die Frage von verfassungsund menschenrechtswidrigen Undercover- und Geheimdienst-Maßnahmen.

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In der November-Ausgabe ergründen Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey die Anziehungskraft des demokratischen Faschismus. Frank Biess legt die historischen Vorläufer von Trumps autoritärer Wende offen – ebenso wie die Lebenslügen der Bundesrepublik. Daniel Ziblatt zieht Lehren aus der Weimarer Republik für den Umgang mit den Autokraten von heute. Annette Dittert zeigt, wie Elon Musk und Nigel Farage die britische Demokratie aus den Angeln zu heben versuchen. Olga Bubich analysiert, wie Putin mit einer manipulierten Version der russischen Geschichte seinen Krieg in der Ukraine legitimiert. Ute Scheub plädiert für die Umverteilung von Wohlstand – gegen die Diktatur der Superreichen. Sonja Peteranderl erörtert, inwiefern sich Femizide und Gewalt gegen Frauen mit KI bekämpfen lassen. Und Benjamin von Brackel und Toralf Staud fragen, ob sich der Klimakollaps durch das Erreichen positiver Kipppunkte verhindern lässt.

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