Ausgabe Dezember 2009

Glaube und Politik

Der deutsche Protestantismus und das Erbe der Bekennenden Kirche

Bei all den großen Gedenktagen dieses Jahres ging fast unter, dass das Jahr auch für die evangelische Kirche von eminenter geschichtlicher und politischer Bedeutung war. Heute vor 75 Jahren setzte die Bekennende Kirche mit der von Karl Barth formulierten theologischen Erklärung von Barmen ein großes Zeichen, das die christliche Existenz mit einem kritischen Auftrag gegenüber den politischen Herren dieser Welt verbindet. Die Synoden der Bekennenden Kirche formulierten eine biblisch begründete Verwerfung des Totalitätsanspruchs der nationalsozialistischen Diktatur. Für die Infragestellung der Machtstrukturen des alten Äon, die die ersten christlichen Gemeinden durch die Aufhebung weltlicher Hierarchien zu überwinden begannen, haben die Positionen dieser Synoden bis heute richtungsweisende Bedeutung.

Ungeachtet dessen werden heute im Protestantismus wieder stärker Positionen vertreten, die bestehende gesellschaftliche Herrschaftsverhältnisse unbiblisch legitimieren. Gleichzeitig wird der Glauben privatisiert und das politische Geschehen einer von neutestamentlichen Weisungen unterschiedenen Eigengesetzlichkeit überantwortet. Diese Auffassung stützt sich explizit auf die Lehre Martin Luthers.

Sie haben etwa 4% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 96% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (1€)
Digitalausgabe kaufen (10€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe September 2025

In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist. 

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema

Allzu perfekte Opfer

von Olga Bubich

„Das normale Vergessen ist der programmierte Zelltod des geistigen Lebens. Es formt die Erfahrung zu einer nützlichen Geschichte“, schreibt der amerikanische Schriftsteller Lewis Hyde. Da es keinen Grund gibt, ihm zu widersprechen, stellt sich eine nicht minder logische Frage – nützlich für wen?

Befreiung als Zusammenbruch

von Klaus-Dietmar Henke

Im August 1941 wandte sich Thomas Mann in einer seiner berühmten Radiobotschaften aus dem amerikanischen Exil wieder einmal an die deutschen Hörer. Die Sowjetunion schien fast besiegt, die Vereinigten Staaten befanden sich noch nicht im Krieg, Präsident Roosevelt und Winston Churchill hatten mit der Atlantik-Charta eben ihren Gegenentwurf zu Hitlers Pax Germanica der totalen Unterwerfung verkündet.

Kein »Lernen aus der Geschichte«

von Alexandra Klei, Annika Wienert

Wofür steht der 8. Mai 1945 in der deutschen Erinnerungskultur? Bereits zum 70. und zum 75. Jahrestags beschäftigten wir uns ausführlich mit dieser Frage. Ist dem jetzt, am 80. Jahrestag, etwas Neues hinzuzufügen?