Ausgabe September 1991

Demokratie in der Demokratur

Vor einigen Jahren erzählte mir der Generalvikar von San Salvador, Monsignore Uriel Arioste, ein Freund von Oscar Romero, über die Demokratie in El Salvador folgendes. "Ja, die Wahlen waren frei. Aber in Wirklichkeit, wissen Sie - es ist, als hätte man Noten für eine schöne Musik vor Augen, aber wenn man dann zum Klavier kommt, dann gibt es nur einen einzigen Ton von sich und quäkt unaufhörlich 'freie Wahlen, Wahlen, Wahlen', sonst nichts. Es gibt keine freie Versammlung, keine freie Opposition und keine freie Gerichtsbarkeit. Die Wahlen waren eine Farce."

Die meisten lateinamerikanischen Länder befinden sich in einem Übergangszustand von den Militärdiktaturen zur Demokratie, der deswegen wenig Hoffnung enthält, weil weder das Militär noch die mit ihm verbundene traditionelle Oligarchie des Feudalismus entmachtet worden ist.

Die Militärs konnten und können vielerorts morden, wie es ihnen paßt, später amnestieren sie sich dann oder erzwingen die i m p u n i d a d, die Straffreiheit. Und die Reichen, in Brasilien etwa 3% der Bevölkerung gegenüber 73% der unter der Armutsgrenze lebenden, zahlen im Allgemeinen keine Steuern. Eigentums- und Machtverhältnisse sind vor, während und nach den Militärdiktaturen dieselben geblieben; die neue Freiheit besteht im wesentlichen in der Möglichkeit, von Zeit zu Zeit einen Stimmzettel anzukreuzen.

September 1991

Sie haben etwa 35% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 65% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (1€)
Digitalausgabe kaufen (10€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe September 2025

In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist. 

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema

Mythos grüne Digitalisierung

von Ingo Dachwitz, Sven Hilbig

Der Klang der Zukunft ist ein leises, elektrisches Dröhnen, das in den Knochen vibriert. Hier im Rechenzentrum herrscht niemals Stille. Es ist erfüllt von einem monotonen Chor mechanischer Flüstertöne.