Ausgabe April 2000

Großer Bruder, kleine Brüder

Das Leben von normalen Menschen sei "viel interessanter als das von Schauspielern", behauptet der Redakteur des Senders RTL2 und meint natürlich das von Schauspielern simulierte Leben in Fernsehspielen und -serien. In Big Brother, der neuen "Fernseh-Sensation", werden zehn Leute in einer Containerwohnung isoliert gehalten und Tag und Nacht von unsichtbaren oder sichtbaren Kameras gefilmt. Jede Woche muß einer oder eine das Haus verlassen, wer, das bestimmt die Gruppe selbst in heimlichen "Nominierungen", bestätigt durch ein angeschlossenes Zuschauer-Votum. Abgeschnitten sind sie überdies von jeglicher Kommunikation nach außen (außer zur Redaktion des Senders): kein Telefon, kein Fernsehen.

Aber die freiwillig Eingeschlossenen unterwerfen sich nicht der Kontrolle durch eine diktatorische Herrschaft, wie in Orwells Roman 1984, aus dem der Name der Sendung stammt. Sie offenbaren ihr Leben bis zu intimen Situationen einer marktähnlichen Medien-Öffentlichkeit vielmehr mit der Hoffnung auf eine Chance, ins Showgeschäft einzusteigen. Insofern erinnert die Versuchsanordnung an Auswahlmethoden bei Bewerbungen, durch die ermittelt werden soll, ob auch die richtige Einstellung, der Wille zur "Herausforderung" vorhanden ist, was als Voraussetzung gilt für den Erfolg auf dem überfüllten Markt der Sonnenseiten-Lebensläufe.

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Aktuelle Ausgabe November 2025

In der November-Ausgabe ergründen Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey die Anziehungskraft des demokratischen Faschismus. Frank Biess legt die historischen Vorläufer von Trumps autoritärer Wende offen – ebenso wie die Lebenslügen der Bundesrepublik. Daniel Ziblatt zieht Lehren aus der Weimarer Republik für den Umgang mit den Autokraten von heute. Annette Dittert zeigt, wie Elon Musk und Nigel Farage die britische Demokratie aus den Angeln zu heben versuchen. Olga Bubich analysiert, wie Putin mit einer manipulierten Version der russischen Geschichte seinen Krieg in der Ukraine legitimiert. Ute Scheub plädiert für die Umverteilung von Wohlstand – gegen die Diktatur der Superreichen. Sonja Peteranderl erörtert, inwiefern sich Femizide und Gewalt gegen Frauen mit KI bekämpfen lassen. Und Benjamin von Brackel und Toralf Staud fragen, ob sich der Klimakollaps durch das Erreichen positiver Kipppunkte verhindern lässt.

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