Ausgabe September 2000

Das F-Wort

Europäische Begriffsverwirrungen

Da musste erst der französische Staatspräsident Jacques Chirac den Ratsvorsitz in der Europäischen Union übernehmen und Wegweisendes zur Position der Grande Nation verkünden, um - unfreiwillig - zu dokumentieren, was schon seit Monaten die Diskussion über die EU-Reform prägt: eine europäische Begriffsverwirrung. Chirac hat empfohlen, den Begriff "Föderation" gar nicht erst zu gebrauchen, um Missverständnissen vorzubeugen. Einer der Urheber solcher Missverständnisse ist ohne Zweifel Bundesaußenminister Joschka Fischer. In seiner Europa-Rede 1) hat er sich just für eine "Föderation" stark gemacht, mit einem europäischen Parlament und einer europäischen Regierung, "die tatsächlich die gesetzgebende und die exekutive Gewalt innerhalb der Föderation ausüben". Gleichzeitig besteht er darauf, dass der Integrationsprozess "die Nationalstaaten mitnimmt in eine solche Föderation" und deren Institutionen unangetastet lässt. Das klingt eher nach Konföderation als nach Föderation. Und wenn Chirac sich unter einem vereinten Europa reichlich verschwommen ein "stärkeres politisches, wirtschaftliches, soziales und kulturelles Ensemble" vorstellt 2), erinnert das eher an de Gaulles "Europa der Vaterländer".

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In der Dezember-Ausgabe ergründet Thomas Assheuer, was die völkische Rechte mit der Silicon-Valley-Elite verbindet, und erkennt in Ernst Jünger, einem Vordenker des historischen Faschismus, auch einen Stichwortgeber der Cyberlibertären. Ob in den USA, Russland, China oder Europa: Überall bilden Antifeminismus, Queerphobie und die selektive Geburtenförderung wichtige Bausteine faschistischer Biopolitik, argumentiert Christa Wichterich. Friederike Otto wiederum erläutert, warum wir trotz der schwachen Ergebnisse der UN-Klimakonferenz nicht in Ohnmacht verfallen dürfen und die Narrative des fossilistischen Kolonialismus herausfordern müssen. Hannes Einsporn warnt angesichts weltweit hoher Flüchtlingszahlen und immer restriktiverer Migrationspolitiken vor einem Kollaps des globalen Flüchtlingsschutzes. Und die Sozialwissenschaftler Tim Engartner und Daniel von Orloff zeigen mit Blick auf Großbritannien und die Schweiz, wie wir dem Bahndesaster entkommen könnten – nämlich mit einer gemeinwohlorientierten Bürgerbahn. 

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