Gegenwärtig avancieren Kinder in den Massenmedien zu Kultobjekten, und die Familie nimmt wieder Fetischcharakter an. Man diskutiert über deren Vernachlässigung durch die Gesellschaft, den meist als Horrorszenario beschnebenen demografischen Wandel und die angeblich defizitäre Generationengerechtigkeit. Damit wird nicht nur auf aktuelle Entwicklungsprozesse von Staat und Politik reagiert, sondern auch Ideologie produziert, die im Folgenden kritisiert werden soll. Heute wachsen erheblich mehr Familien, Kinder und Jugendliche als noch vor wenigen Jahren in materieller Not auf. Wie der erste Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung amtlich bestätigt, leben über eine Million Kinder in Sozialhilfe-Haushalten. Jedes siebte Kind bleibt nicht von relativer (Einkommens-)Armut verschont, was zu psychosozialen Belastungen führen kann, den Ausschluss junger Menschen aus soziokulturellen Lebenszusammenhängen nach sich zieht und die Chancengleichheit in der Gesellschaft nachhaltig beeinträchtigt.
Kinderarmut ist nicht nur ein reales, gesellschaftspolitisch brisantes Problem, sondern auch ein politisch-ideologischer Hebel, um die Armutsbetroffenen gegeneinander auszuspielen. Denn die Existenz von Armut gilt mittlerweile sogar in der wohlhabenden Bundesrepublik fast schon als normal, Kinderarmut jedoch (noch) als Skandal.