Ausgabe Juni 2009

Von der Verflüchtigung einer bangen Hypothese

Theorie und Praxis: Jürgen Habermas zum 80.

Von Sprachtalenten wird die Erfahrung berichtet, dass mit der Zahl der Sprachen, die sie bereits beherrschen, die Zeit und die Anstrengung steil abnimmt, die sie zum Erwerb einer weiteren Sprache benötigen. Demnach wäre das Sprachenlernen selbst lernbar. Jürgen Habermas ist mir immer als ein einzigartiges Beispiel dafür vorgekommen, dass dasselbe auch für den Umgang mit und die Geläufigkeit in den Sprachen sozialwissenschaftlicher Theorien gilt. Ihm gelingt es zuweilen, aus fremden Texten selbst dann schon Sinn zu machen, wenn diese sich bei ihrem Urheber noch im embryonalen Status einer hermetischen Privatsprache befinden. Das könnte sicher mehr als einer unter seinen Doktoranden und Schülern bestätigen.

Ich nutze die Gelegenheit dieses öffentlichen Geburtstagsgrußes dazu, zum Beleg eine kleine Geschichte mitzuteilen, an die sich heute (höchstens) drei Beteiligte erinnern. In dem späteren Kollegen N., der seine Studienzeit ebenso maßlos wie produktiv überzogen hatte, war der Entschluss gereift, sein Studium mit einer soziologischen Diplomprüfung bei Habermas im Dezember 1968 abzuschließen. Als Assistent an Habermas’ Lehrstuhl in Frankfurt hatte ich N.

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