
Bild: Ein mit Mpox infiziertes Kind wird am 15. August 2024 in einem Krankenhaus im Osten der Demokratischen Republik Kongo (DRK) behandelt, 15.8.2024 (IMAGO / Xinhua)
Im August 2024 hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) nach dem massiven Ausbruch von Mpox-Viruserkrankungen in mehreren afrikanischen Staaten die höchste Alarmstufe ausgerufen – eine „gesundheitliche Notlage internationaler Tragweite“. Das Wort international verweist darauf, dass die Weltgemeinschaft zum Handeln aufgerufen ist. Doch die Staaten handeln zögerlich und alles andere als gemeinschaftlich. Auch deshalb waren bis Ende September schon über 34 000 Menschen infiziert und über 1300 an dem Virus gestorben. Das sagen die Erhebungen der afrikanischen Gesundheitsbehörde CDC; die Dunkelziffer ist vermutlich hoch.[1]
Bei Mpox (früher irreführend und diskriminierend Affenpocken genannt) handelt es sich um eine Zoonose, eine von Tieren auf den Menschen übertragene Viruserkrankung, deren neue Unterlinie sich in der Demokratischen Republik Kongo schneller ausbreitet und häufiger schwere Krankheitsverläufe verursacht als jene Variante, die bereits 2022 kursierte. Typische Symptome sind hohes Fieber und schmerzhafte Pusteln. Die Sterblichkeitsrate ist bei Kindern mit über acht Prozent viermal so hoch wie bei Erwachsenen.[2]
Eine Übertragung von Mensch zu Mensch erfolgt über engen Körperkontakt und nicht wie bei Covid-19 über die Atemluft. Daher ist eine globale Pandemie mit Millionen Betroffenen wie bei Covid-19 oder bei Influenzaviren nicht zu erwarten. Fälle von Mpox sind derzeit vor allem dort registriert, wo Menschen arm sind, auf engem Raum zusammenleben und durch andere armutsbedingte Krankheiten geschwächt sind – wie zum Beispiel in den Flüchtlingslagern des kriegsverheerten Kongo. Auch Menschen in Kenia, Uganda, Ruanda und Burundi sind betroffen – allesamt Länder mit nur rudimentärem Gesundheitssystem. Überall dort also, wo prekäre Lebensverhältnisse vorherrschen und der Zugang zu Gesundheitsversorgung nicht gegeben ist, findet das Virus den besten Nährboden, um sich zu verbreiten.
Die Reaktion der Behörden auf dem afrikanischen Kontinent wird zusätzlich durch eine unzureichende Überwachung, Probleme bei der Durchführung von Tests, eine praktisch nicht vorhandene Rückverfolgung von Kontaktpersonen und unzureichende Kenntnisse über die Übertragungswege erschwert.[3] Dabei gibt es, anderes als zu Beginn der Coronapandemie, bereits einen Impfstoff gegen Mpox. Er bietet einen hohen Schutz, mildert die Krankheitsverläufe ab und würde helfen, weitere Infektionen zu vermeiden. Dennoch gibt es wenig Bestellungen aus den betroffenen afrikanischen Ländern, weil der Impfstoff zu teuer ist.
Die globale Gesundheitskrise
Seit Jahren warnt das UN-Umweltprogramm vor dem vermehrten Ausbruch von Zoonosen. Mit Klimawandel, Rohstoffabbau, Waldeinschlag und der Zerstörung unberührter Naturräume reiße die Menschheit „biodiverse Pufferzonen“ ein. Das mache ein Überspringen von Wildtierviren auf Nutztiere und Menschen wahrscheinlicher.[4] Zusätzlich begünstige der massenhafte Medikamenteneinsatz in der industriellen Tierhaltung die schnelle Mutation von Krankheitserregern.
Der erneute Ausbruch von Mpox, wie zuvor Ebola und Covid-19, ist Ausdruck der immer deutlicher zutage tretenden Gesundheitskrise, die mit der globalen Entfesselung des Kapitalismus entstanden ist und sich durch die Pandemie verschärft hat. So wurden etwa Mittel zur Eindämmung anderer Krankheiten wie Malaria umgewidmet und Impfkampagnen gegen Masern und andere Erreger fanden pandemiebedingt nicht mehr statt. Auch die Verteilung von Verhütungsmitteln war zu der Zeit erschwert, was in der Folge zu einem Anstieg von Erkrankungen durch HIV/Aids führte.[5]
Die Zerstörung der Lebensräume von Wildtieren, die Zunahme prekärer Arbeits- und Wohnverhältnisse, die Aushöhlung von öffentlichen Gesundheitsdiensten, das Fehlen von Arzneimitteln für die Krankheiten der Armen – all das ist Ergebnis einer Politik, die das ökonomische Interesse am Profit über die Rechte der Menschen stellt. Eine nachhaltige Lösung der Krise aber gelingt nur, wenn die öffentliche Daseinsvorsorge gestärkt und gesundheitsfördernde Lebensumstände geschaffen werden.
Der verschleppte Pandemievertrag
Aber auch die aktuellen politischen Rahmenbedingungen sind von großer Bedeutung für die Eindämmung der Epidemie. Der Ausbruch von Mpox fällt in eine Zeit, in der bei der WHO über einen Pandemievertrag gestritten wird. Die Idee ist großartig: Der Vertrag könnte normative Maßstäbe setzen, um global mehr in die Vorbereitung auf und die Überwachung von Infektionskrankheiten zu investieren und die zuletzt während der Coronapandemie aufgetretenen Verteilungsungerechtigkeiten zu überwinden. So könnte endlich ein völkerrechtlich bindendes Werkzeug zur Pandemieeindämmung Charity-Maßnahmen und die „Impfstoffdiplomatie“ ersetzen, also die Praxis reicher Staaten, Impfstoffe an befreundete oder strategisch wichtige arme Länder zu spenden, wie es auch bei Mpox der Fall war. Denn Viren kennen keine Grenzen. Das zumindest sollte eine Lehre aus der Coronapandemie sein.
Sollte, ist es aber nicht, denn die Verhandlungen stocken. Streit gibt es vor allem über die Verbindlichkeit des Abkommens in Fragen der geistigen Eigentumsrechte, denn diese würde die Macht der Pharmaindustrie im Ernstfall zugunsten des öffentlichen Interesses einschränken und eine schnelle Impfstoff- und Medikamentenherstellung in großen Mengen ermöglichen. Diese könnten dann global nach Bedarf und nicht nach Kaufkraft verteilt werden. Die Länder des Globalen Südens forderten, im Falle einer Pandemie den Patentschutz für relevante Impfstoffe, Medikamente, Diagnostika und medizinische Geräte vorübergehend aufzuheben. Dies sollte, wie schon bei der Coronapandemie gefordert, durch eine Ausnahmegenehmigung im Rahmen der Welthandelsorganisation geschehen.
Es sieht aber nicht danach aus, dass diese zentrale Forderung die nächste Runde der Verhandlungen erreichen wird. Blockiert wird der Vorstoß – wen wundert’s – von den großen Industrienationen. Schon während der Coronapandemie gehörte Deutschland zu den Staaten, die gegen den Willen zahlreicher Länder und gegen zivilgesellschaftlichen Protest global und auf EU-Ebene dafür gesorgt hatten, dass die Impfstoffpatente nicht freigegeben wurden.
Die dominierenden Staaten sind sich dabei einig mit der Pharmalobby, die bei den Verhandlungen durch die „International Federation of Pharmaceutical Manufacturers and Associations“ zugelassen wurde. Die Pharmaindustrie möchte ihre Patente nicht freigeben, fordert aber, dass sie ungehinderten Zugang zu Informationen über Erregerproben und genomische Sequenzdaten erhält. „Die Länder des Globalen Südens wollen diese Informationen jedoch nicht ohne Gegenleistung aus der Hand geben. Sie befürchten, dass sie ansonsten zwar die wissenschaftlichen Informationen zur Entwicklung von Impfstoffen und Medikamenten weitergeben, im Gegenzug aber keinen Zugang zu diesen lebensrettenden Ressourcen erhalten“, erläutert Jens Maartens vom Global Policy Forum.[6]
Die WHO als Spielfeld der Geopolitik
Da Patentfreigaben im Falle einer Pandemie nicht kommen werden, liegt jetzt ein Vorschlag auf dem Tisch, mit dem Hersteller von Impfstoffen und Medikamenten verpflichtet werden sollen, etwa 20 Prozent ihrer pandemiebezogenen Produkte der WHO zur weiteren Verteilung zur Verfügung zu stellen. Eine Einigung darauf konnte bisher allerdings nicht erzielt werden. Aber immerhin wurden die Verhandlungen in diesem Frühjahr nicht abgebrochen, nachdem der selbst gesetzte Stichtag bei der Weltgesundheitsversammlung im Mai vertagt wurde. Mit ein bisschen Optimismus lässt das die Hoffnung zu, dass sich die Mitgliedstaaten doch noch wenigstens auf zentrale Eckpunkte verständigen. Die Bedeutung eines erfolgreichen Abschlusses würde weit über die Frage der Pandemieprävention hinausgehen, denn viele Staaten behandeln die WHO zunehmend als Spielfeld für ihre geopolitischen Konflikte. Das wird zu einem immer größeren Problem für die Handlungsfähigkeit der Organisation.
Ohne Zweifel, Gesundheit ist immer politisch und es hängt maßgeblich von politischen Entscheidungen ab, ob sich Gerechtigkeitsperspektiven und gesunde Lebensbedingungen für alle realisieren lassen. „Die WHO darf sich nicht auf eine rein technische Funk-tion reduzieren lassen“, sagt Gesundheitsexperte Andreas Wulf. „Ihre Stimme im Interesse der Gesundheit aller Menschen wird gebraucht, wenn nationale Egoismen und Profitorientierung dieses Menschenrecht auf Gesundheit mit Füßen treten.“[7] Diese politische Funktion der WHO wird aber zunehmend schwierig auszufüllen, da große geopolitische Konfliktthemen wie die Kriege in der Ukraine oder in Gaza zu Blockbildung unter den Mitgliedsländer führen. Statt das gemeinsame Ziel, „Gesundheit für alle“, zu verfolgen, nutzen die Staaten die WHO mitunter als eine Art „Nebenbühne“ der New Yorker UN-Generalversammlung.
Der einzige Impfstoffhersteller bremst
Bis zur Wiederaufnahme der Verhandlungen in 2025 grassiert Mpox weiter. Dass die Aussetzung der Impfstoffpatente blockiert wird, hat Folgen im Hier und Jetzt. Eine Impfung mit dem einzigen in Europa und den USA zugelassenen Impfstoff kostet derzeit 100 US-Dollar – unerschwinglich für die krisen- und kriegsgeschüttelten Länder. Gleichzeitig legten die Aktien des – einzigen – Herstellers, Bavarian Nordic aus Dänemark, infolge des aktuellen Ausbruchs um mehr als 40 Prozent zu. Auf Spendenbasis will die EU den betroffenen Ländern nun Impfstoffe gegen die neue Variante des Mpox-Virus überlassen. Inzwischen wurden 5,4 Millionen Impfstoffdosen über Fonds und Länderzusagen zugesichert.[8] Das aber bedeutet gleichzeitig, dass die Hälfte der benötigten Impfdosen weiterhin fehlt. Bereits jetzt hat die Abhängigkeit von gespendeten Impfdosen dazu geführt, dass die Impfkampagne in der besonders betroffenen Demokratischen Republik Kongo erst verspätet beginnen konnte.[9]
Spenden sind keine Dauerlösung
Mindestens solange es keinen verbindlichen internationalen Verteilungsmechanismus gibt, sind Spenden unerlässlich. Doch philanthropische Gesten, egal wie großzügig sie sein mögen, können niemals das grundsätzliche Problem lösen, dass die Pharmaindustrie ohne einen gesetzlichen Rahmen allein nach ökonomischen Interessen entscheidet, welche Medikamente und Impfstoffe sie überhaupt produziert und zu welchem Preis sie diese auf den Markt bringt. Damit verhindern die politisch Verantwortlichen eine bedarfsorientierte Produktion, die das Recht auf bestmöglichen Zugang zu Gesundheit für alle Menschen einlöst.
Zur Legitimierung dieser Politik wird den Ländern des Globalen Südens – wie schon bei Covid-19 – in neokolonialer Manier die Fähigkeit abgesprochen, die Impfstoffe selbst zu produzieren. „Eine lokale afrikanische Produktion des Impfstoffs sei aus technologischer Sicht nicht realisierbar“, heißt es von Bavarian Nordic.[10]
Eine Schutzbehauptung. Die alternative Lobbygruppe Public Citizen hat schon vor über zwei Jahren recherchiert, dass die für die Mpox-Impfstoffproduktion benötigte Technologie bereits in mehreren Ländern des Globalen Südens zur Herstellung von Masern-Impfstoffen eingesetzt wird und die Kosten bei nur vier US-Dollar pro Dosis liegen könnten. Voraussetzung für eine Produktion von Mpox-Impfstoffen im großen Stil wären ein Technologietransfer und das Teilen geistiger Eigentumsrechte, wie dies mit offenen WHO-Lizenzen möglich wäre. Derzeit wird aber lediglich ein Modell diskutiert, in dem Impfstoffe in afrikanischen Ländern lediglich abgefüllt werden. Damit setzt sich der Ausschluss von Wissen und damit verbunden die Abhängigkeit des Globalen Südens einmal mehr fort.
Dian Maria Blandina und Lauren Paremoer vom People’s Health Movement sprechen von einer „tiefen Kluft zwischen dem Fokus des Globalen Nordens auf Gesundheitssicherheit und industriellen Interessen auf der einen Seite und dem Drängen des Globalen Südens auf einen gerechten Zugang zu Gesundheitsprodukten und eine verstärkte lokale Produktion auf der anderen“.[11]
Der Mpox-Ausbruch böte für die Bundesrepublik und Europa die Möglichkeit, zumindest im Bereich der Gesundheitspolitik auf Augenhöhe mit dem Globalen Süden zu agieren. Sie müssten nur dafür sorgen, umgehend das Wissen zur Produktion von Mpox-Impfstoffen bereitzustellen. Zugleich könnten die Länder Europas verlorenes Vertrauen wieder wettmachen, indem sie bei den Verhandlungen über den Pandemievertrag ein solidarisches, international koordiniertes Handeln bei Gesundheitskrisen ermöglichen.
[1] Clade I Mpox Outbreak Originating in Central Africa, cdc.gov, laufend aktualisiert.
[2] Mpox: Five ways children are more at risk, reliefweb.int, 16.8.2024.
[3] Kongo erhält dringend benötigte erste Mpox-Impfstoffe, doch Impfkampagne steht vor enormen Herausforderungen, germanic.news, 6.9.2024.
[4] Preventing the next pandemic - Zoonotic diseases and how to break the chain of transmission, unep.org, 29.2.2020.
[5] Südafrika: Bei HIV, TB und Krebs schlechter versorgt, in: „Pharma-Brief“, 10/2021, S. 4.
[6] Jens Maartens, Weltgesundheitsversammlung 2024: Vertagter Konsens und überraschender Durchbruch, globalpolicy.org, 26.6.2024.
[7] Andreas Wulf, Globale Gesundheit – Nicht in der Verfassung, medico.de, 18.6.2024.
[8] WHO and partners establish an access and allocation mechanism for mpox vaccines, treatments, tests, who.int, 13.9.2024.
[9] Africa CDC Congratulates Democratic Republic of the Congo on Launching Mpox Vaccination Campaign, africacdc.org, 6.10.2024.
[10] Robert Hart, Mpox Vaccine Maker Bavarian Nordic Shares Soar Amid Concern Over Virus Outbreak, forbes.com, 22.8.2024.
[11] Dian Maria Blandina and Lauren Paremoer, The Global Standstill: Stumbling Blocks in Pandemic Treaty Negotiations, rosalux-geneva.org, 8.8.2024.