Ausgabe Juli 2016

Die offene Gesellschaft als ihr eigener Feind

Als vor gut einem Vierteljahrhundert der realexistierende Kommunismus implodierte, stürzte dieses Jahrhundertereignis zahlreiche Intellektuelle in veritable Identitätskrisen. Scheinbar geistig desorientiert durch den Wegfall der Ost-West-Konfrontation, in der man sich längst häuslich eingerichtet hatte, verlangten viele, sich umgehend auf die „Suche nach neuen Feinden“ zu machen.[1] Ist eine endgültig „entfeindete Demokratie“ (Ulrich Beck),[2] die ungeachtet eines offenbar „unstillbaren Bedarfs an Feindbildern“ angeblich gar keine wirklichen Feinde mehr „braucht“, nicht eine weltfremde Illusion? Manche wollten daher „mehr Mut zu echter Feindschaft“ machen (Wolfgang Sofsky),[3] obwohl sich zwischenzeitlich gerade kein passender Feind anzubieten schien. Man wandte sich gegen eine moralische Lähmung saturierter, durch und durch ökonomisierter Gesellschaften, die den irreführenden Eindruck erwecken, alles könne für anderes eingetauscht werden, so dass der Gedanke abwegig erscheinen muss, es könne notwendig werden, sich für sie zu opfern, wie es ein obsoletes, von den europäischen Nationalismen vereinnahmtes und endgültig ruiniertes Heldentum verlangt hatte.

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In der Dezember-Ausgabe ergründet Thomas Assheuer, was die völkische Rechte mit der Silicon-Valley-Elite verbindet, und erkennt in Ernst Jünger, einem Vordenker des historischen Faschismus, auch einen Stichwortgeber der Cyberlibertären. Ob in den USA, Russland, China oder Europa: Überall bilden Antifeminismus, Queerphobie und die selektive Geburtenförderung wichtige Bausteine faschistischer Biopolitik, argumentiert Christa Wichterich. Friederike Otto wiederum erläutert, warum wir trotz der schwachen Ergebnisse der UN-Klimakonferenz nicht in Ohnmacht verfallen dürfen und die Narrative des fossilistischen Kolonialismus herausfordern müssen. Hannes Einsporn warnt angesichts weltweit hoher Flüchtlingszahlen und immer restriktiverer Migrationspolitiken vor einem Kollaps des globalen Flüchtlingsschutzes. Und die Sozialwissenschaftler Tim Engartner und Daniel von Orloff zeigen mit Blick auf Großbritannien und die Schweiz, wie wir dem Bahndesaster entkommen könnten – nämlich mit einer gemeinwohlorientierten Bürgerbahn. 

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