Ausgabe Juli 2020

Balkanische Illusionskünstler

Serbiens Präsident Aleksandar Vucic, 18.06.2020

Bild: imago images / ITAR-TASS

Der Ausnahmezustand erscheint nach relativ kurzer Zeit oft als neue Normalität. Das gilt insbesondere für Gesellschaften im permanenten Umbruch, wie die Coronakrise in Südosteuropa – also in jenen sechs EU-Erweiterungskandidaten auf dem Balkan[1] – deutlich vor Augen führt. Schritt für Schritt wurde dort vielerorts eine lebendige Demokratie durch eine Demokratiekulisse ersetzt. Das ist das Werk starker Männer und ihrer Machtstrukturen. Nennen wir sie hier einfach balkanische Illusionskünstler.

Aleksandar Vučić, Präsident Serbiens, des größten Staates der Region, hat es in seiner Illusionskunst zur wahren Meisterschaft gebracht: Unmittelbar vor dem Ausbruch der Pandemie in Serbien stand er noch hinter einem seiner Chef-Virologen und lächelte, als dieser vom Corona-Virus als dem „lächerlichsten Virus der Geschichte“ sprach. Rasant änderte Vučić in den Tagen und Wochen danach aber den Ton und erklärte den „Krieg“ gegen das Virus. Das ging Hand in Hand mit einer fast beliebigen Ausnutzung des Ausnahmezustandes zur alltäglichen Machtdemonstration. Parallel vollzog Vučić eine außenpolitische Wende von der EU zu China. Am 21. März landete am Belgrader Flughafen eine Maschine von Air Serbia voll mit medizinischer Schutzausrüstung aus der Volksrepublik und chinesischen Experten für die Bekämpfung von Covid-19.

Juli 2020

Sie haben etwa 9% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 91% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (1.00€)
Digitalausgabe kaufen (10.00€)
Druckausgabe kaufen (10.00€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe Oktober 2025

In der Oktober-Ausgabe wertet Seyla Benhabib das ungehemmte Agieren der israelischen Regierung in Gaza als Ausdruck einer neuen Ära der Straflosigkeit. Eva Illouz ergründet, warum ein Teil der progressiven Linken auf das Hamas-Massaker mit Gleichgültigkeit reagiert hat. Wolfgang Kraushaar analysiert, wie sich Gaza in eine derart mörderische Sackgasse verwandeln konnte und die Israelsolidarität hierzulande vielerorts ihren Kompass verloren hat. Anna Jikhareva erklärt, warum die Mehrheit der Ukrainer trotz dreieinhalb Jahren Vollinvasion nicht zur Kapitulation bereit ist. Jan Eijking fordert im 80. Jubiläumsjahr der Vereinten Nationen mutige Reformen zu deren Stärkung – gegen den drohenden Bedeutungsverlust. Bernd Greiner spürt den Ursprüngen des Trumpismus nach und warnt vor dessen Fortbestehen, auch ohne Trump. Andreas Fisahn sieht in den USA einen „Vampirkapitalismus“ heraufziehen. Und Johannes Geck zeigt, wie rechte und islamistische Rapper Menschenverachtung konsumierbar machen.

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema