Demokratische Tradition und neoliberale Deformation
Bild: Der Bundestag hat am 5. Dezember 2025 die gesetzlichen Grundlagen für einen »neuen attraktiven Wehrdienst« geschaffen (Foto: IMAGO / BREUEL-BILD)
Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat in Deutschland eine intensive Debatte über die Notwendigkeit einer Wehrpflicht ausgelöst. Dabei werden die ideengeschichtlichen Grundlagen der Wehrpflicht von ihren Gegnern regelmäßig verkannt, nämlich Republikanismus und Egalitarismus, sprich: bürgerlich-demokratische Gesinnung und der Wunsch nach Gleichheit beim Tragen der militärischen Lasten.
Weniges wird dieser Tage kontroverser diskutiert als die Wehrpflicht. Dabei treten Konservative meist als Befürworter, Linke und Liberale hingegen häufig als Gegner der Institution auf.
Historisch war dies keineswegs immer so. Der Blick in ältere Auseinandersetzungen um die Wehrpflicht fördert Bemerkenswertes zutage: Einerseits bestand unter konservativ Gesinnten im Deutschland des 19. Jahrhunderts mitunter die Sorge, eine allgemeine Wehrpflicht – das »einfache Volk in Waffen« – könne die monarchische Ordnung gefährden. Andererseits lassen sich, was für unsere Gegenwart bedeutsamer ist, zwei demokratische Denktraditionen zur Wehrpflicht ausmachen: eine egalitäre, die auf der gleichen Verteilung militärischer Lasten besteht, und eine republikanische, die auf die bürgerschaftliche Kontrolle des Militärs zielt.[1]
In Deutschland wurden die entsprechenden Argumentationslinien besonders elaboriert und wirkmächtig von Sozialliberalen, Sozialdemokraten und Sozialisten im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert entwickelt.