Ausgabe Oktober 2014

Auschwitz als Waffe

In der Septemberausgabe der »Blätter« analysierten Micha Brumlik und András Bruck die neue »Qualität« des Antisemitismus, die die Debatte um den jüngsten Gazakrieg befördert hat. Der Sozialpsychologe Manfred Clemenz kritisiert dagegen, dass sowohl Vertreter der proisraelischen als auch der israelkritischen Seite allzu leichtfertig zum Auschwitzvergleich greifen – und damit zu rhetorischen Mitteln totalitärer Propaganda.

Militärisch scheint der Gazakrieg tatsächlich ein vorläufiges Ende gefunden zu haben. Doch wo Trauer angemessen wäre, wird der Krieg rhetorisch weitergeführt. Und inzwischen hat die ideologische Vereinnahmung des Gazakriegs höchst skurrile Formen angenommen. Die argumentative Hilflosigkeit der Kombattanten zeigt sich darin, dass beide Seiten mittlerweile die gleiche Waffe als Argument benutzen: Auschwitz. Oder elaborierter formuliert: Beide Seiten betreiben einen Missbrauch der Geschichte.

In der „New York Times“ veröffentlichte das International Jewish Anti-Zionist Network Ende August eine Anzeige, in der 327 jüdische Überlebende des Holocausts (bzw. deren Nachkommen) gegen das „Massaker an den Palästinensern in Gaza“ protestieren und die westlichen Staaten ob ihres Schweigens anprangern: „Genozid beginnt mit dem Schweigen.“[1] Das ist ein deutlicher Verweis auf Auschwitz.

Sie haben etwa 9% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 91% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (1.00€)
Digitalausgabe kaufen (10.00€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe Januar 2026

In der Januar-Ausgabe skizziert der Journalist David Brooks, wie die so dringend nötige Massenbewegung gegen den Trumpismus entstehen könnte. Der Politikwissenschaftler Philipp Lepenies erörtert, ob die Demokratie in den USA in ihrem 250. Jubiläumsjahr noch gesichert ist – und wie sie in Deutschland geschützt werden kann. Der Politikwissenschaftler Sven Altenburger beleuchtet die aktuelle Debatte um die Wehrpflicht – und deren bürgerlich-demokratische Grundlagen. Der Sinologe Lucas Brang analysiert Pekings neue Friedensdiplomatie und erörtert, welche Antwort Europa darauf finden sollte. Die Journalistinnen Susanne Götze und Annika Joeres erläutern, warum die Abhängigkeit von Öl und Gas Europas Sicherheit gefährdet und wie wir ihr entkommen. Der Medienwissenschaftler Roberto Simanowski erklärt, wie wir im Umgang mit Künstlicher Intelligenz unsere Fähigkeit zum kritischen Denken bewahren können. Und die Soziologin Judith Kohlenberger plädiert für eine »Politik der Empathie« – als ein Schlüssel zur Bekämpfung autoritärer, illiberaler Tendenzen in unserer Gesellschaft.

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema

Micha Brumlik: Ein furchtloser Streiter für die Aufklärung

von Meron Mendel

Als die Hamas am 7. Oktober 2023 Israel überfiel und anschließend der Krieg der Netanjahu-Regierung in Gaza begann, fragten mich viele nach der Position eines Mannes – nach der Micha Brumliks. Doch zu diesem Zeitpunkt war Micha bereits schwer krank. Am 10. November ist er in Berlin gestorben.

Israel in der dekolonialen Matrix

von Eva Illouz

Manchmal kommt es auf der Weltbühne zu Ereignissen, die unmittelbar einen grundlegenden Bruch markieren. Der 7. Oktober 2023 war ein solches Ereignis. Die Hamas verübte Verbrechen gegen die Menschlichkeit, indem sie fast 1200 Israelis ermordete.

Kein »Lernen aus der Geschichte«

von Alexandra Klei, Annika Wienert

Wofür steht der 8. Mai 1945 in der deutschen Erinnerungskultur? Bereits zum 70. und zum 75. Jahrestags beschäftigten wir uns ausführlich mit dieser Frage. Ist dem jetzt, am 80. Jahrestag, etwas Neues hinzuzufügen?

Der Nahostkonflikt und die Kunst: Wider die Logik des Boykotts

von Saba-Nur Cheema, Meron Mendel

Spätestens seit dem 7. Oktober 2023, dem andauernden Krieg in Gaza und Libanon sind die Fronten verhärteter als je zuvor. Es scheint, als ob es nur eine binäre Wahl zwischen zwei Lagern gäbe. Und in jedem Lager sind es die Radikalen, die den Ton angeben.