Ausgabe Oktober 2014

Auschwitz als Waffe

In der Septemberausgabe der »Blätter« analysierten Micha Brumlik und András Bruck die neue »Qualität« des Antisemitismus, die die Debatte um den jüngsten Gazakrieg befördert hat. Der Sozialpsychologe Manfred Clemenz kritisiert dagegen, dass sowohl Vertreter der proisraelischen als auch der israelkritischen Seite allzu leichtfertig zum Auschwitzvergleich greifen – und damit zu rhetorischen Mitteln totalitärer Propaganda.

Militärisch scheint der Gazakrieg tatsächlich ein vorläufiges Ende gefunden zu haben. Doch wo Trauer angemessen wäre, wird der Krieg rhetorisch weitergeführt. Und inzwischen hat die ideologische Vereinnahmung des Gazakriegs höchst skurrile Formen angenommen. Die argumentative Hilflosigkeit der Kombattanten zeigt sich darin, dass beide Seiten mittlerweile die gleiche Waffe als Argument benutzen: Auschwitz. Oder elaborierter formuliert: Beide Seiten betreiben einen Missbrauch der Geschichte.

In der „New York Times“ veröffentlichte das International Jewish Anti-Zionist Network Ende August eine Anzeige, in der 327 jüdische Überlebende des Holocausts (bzw. deren Nachkommen) gegen das „Massaker an den Palästinensern in Gaza“ protestieren und die westlichen Staaten ob ihres Schweigens anprangern: „Genozid beginnt mit dem Schweigen.“[1] Das ist ein deutlicher Verweis auf Auschwitz.

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In der Oktober-Ausgabe wertet Seyla Benhabib das ungehemmte Agieren der israelischen Regierung in Gaza als Ausdruck einer neuen Ära der Straflosigkeit. Eva Illouz ergründet, warum ein Teil der progressiven Linken auf das Hamas-Massaker mit Gleichgültigkeit reagiert hat. Wolfgang Kraushaar analysiert, wie sich Gaza in eine derart mörderische Sackgasse verwandeln konnte und die Israelsolidarität hierzulande vielerorts ihren Kompass verloren hat. Anna Jikhareva erklärt, warum die Mehrheit der Ukrainer trotz dreieinhalb Jahren Vollinvasion nicht zur Kapitulation bereit ist. Jan Eijking fordert im 80. Jubiläumsjahr der Vereinten Nationen mutige Reformen zu deren Stärkung – gegen den drohenden Bedeutungsverlust. Bernd Greiner spürt den Ursprüngen des Trumpismus nach und warnt vor dessen Fortbestehen, auch ohne Trump. Andreas Fisahn sieht in den USA einen „Vampirkapitalismus“ heraufziehen. Und Johannes Geck zeigt, wie rechte und islamistische Rapper Menschenverachtung konsumierbar machen.

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