Ausgabe August 2018

Solidarität und Heimat

Wer vom Kapitalismus reden will, sollte von Migration und Heimatverlust nicht schweigen

Bild: REHvolution.de / photocase.com

Unlängst erschien ein gemeinsamer Aufruf von kritnet, medico international und dem Institut Solidarische Moderne mit dem markant-knackigen Titel: „Solidarität statt Heimat“.[1] Neben etlichem anderen, was in diesem Aufruf durchaus problematisch ist, verkennt er schon in seinem Titel das Entscheidende: Wer heute über Migration spricht, muss auch über den Kapitalismus sprechen – und über den Verlust und die Aneignung von Heimat. 

Denn kapitalistische Entwicklung produziert grundsätzlich Migrationsbewegungen: Die Voraussetzung des Kapitalismus ist die Existenz einer Klasse von Menschen, die nichts besitzen außer sich selbst und auf den Verkauf ihre Arbeitskraft als Ware angewiesen sind – und damit auch darauf, ihre Heimat der Not gehorchend zu verlassen. 

Historisch entstand der Kapitalismus in England als Agrarkapitalismus mit Bauernlegungen: Aus Klein- und Subsistenzbauern wurden plötzlich eigentumslose Landarbeiterinnen und Landarbeiter. Der Prozess der Schaffung dieser Klasse von Eigentumslosen war ein höchst gewaltsamer. Zu ihm gehört auch die Einhegung des Gemeindelandes, der Allmende, die es Menschen bis dahin ermöglicht hatte, Zugang zum Produktionsmittel Land zu besitzen. Zugleich legte der Agrarkapitalismus die Grundlagen für die kapitalistische Industrialisierung und Urbanisierung, das aber heißt, Binnenmigration war die unweigerliche Folge.

Sie haben etwa 6% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 94% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (2.00€)
Digitalausgabe kaufen (10.00€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe Januar 2026

In der Januar-Ausgabe skizziert der Journalist David Brooks, wie die so dringend nötige Massenbewegung gegen den Trumpismus entstehen könnte. Der Politikwissenschaftler Philipp Lepenies erörtert, ob die Demokratie in den USA in ihrem 250. Jubiläumsjahr noch gesichert ist – und wie sie in Deutschland geschützt werden kann. Der Politikwissenschaftler Sven Altenburger beleuchtet die aktuelle Debatte um die Wehrpflicht – und deren bürgerlich-demokratische Grundlagen. Der Sinologe Lucas Brang analysiert Pekings neue Friedensdiplomatie und erörtert, welche Antwort Europa darauf finden sollte. Die Journalistinnen Susanne Götze und Annika Joeres erläutern, warum die Abhängigkeit von Öl und Gas Europas Sicherheit gefährdet und wie wir ihr entkommen. Der Medienwissenschaftler Roberto Simanowski erklärt, wie wir im Umgang mit Künstlicher Intelligenz unsere Fähigkeit zum kritischen Denken bewahren können. Und die Soziologin Judith Kohlenberger plädiert für eine »Politik der Empathie« – als ein Schlüssel zur Bekämpfung autoritärer, illiberaler Tendenzen in unserer Gesellschaft.

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema

Globales Elend und die Diktatur der Superreichen

von Ute Scheub

Sie düsen in Privatjets um die Welt, um Immobilien und Konzernketten an sich zu reißen. Sie kaufen ganze Landschaften und Inseln, um sich dort im größten Luxus abzukapseln. Sie übernehmen Massenmedien, um sich selbst zu verherrlichen und gegen Arme und Geflüchtete zu hetzen.