Von der Verantwortung der Modell-Europäer
1. In den letzten Jahren brauchte man vielen Intellektuellen in West- und Osteuropa nur das Stichwort Europa (oder Mitteleuropa) zuzurufen, und sie gerieten auf den verschiedensten Konferenzen in einen rauschhaften Zustand: Die Kräfte der Kunst und des Geistes schienen (wieder einmal) in der Lage, sich über alle Widrigkeiten der Materie hinwegzusetzen, die Zwingburgen der Macht und des Kapitals wurden nichtig angesichts der Luftschlösser des Geistes, die Kleinen wurden mächtig und bedeutsam, die Ränder zu neuen Zentren, die Mächtigen schienen vor Worten zu erzittern.
2. Kultur solle nicht die Auslegeware für das ökonomisch bestimmte europäische Haus sein, nicht der Teppich, unter den man alles Problematische kehrt, warnte 1988 Freimut Duve. Vergeblich, sie ist es längst geworden. Sie leistet ihren Beitrag für die Akzeptanz der "Industrieplattform Europa" (Adolf Muschg).
3. Mittlerweile prägt neue Dynamik den Prozeß Europa. Auch die Peripherien dürfen, so scheint es, wie einst nach 1945 Mitteleuropa, die Segnungen einer freien (d.h. fessellosen, entfesselten) Marktwirtschaft kennenlernen.