Ausgabe März 1990

Ich halte am Ideal einer demokratischen und freien Gesellschaft fest...

Rede Nelson Mandelas in Kapstadt am 11, Februar 1990 (Auszüge)

Am 11. Februar 1990 wurde Nelson Mandela, Symbolfigur des Afrikanischen Nationalkongresses ANC, nach 27 Jahren Haft freigelassen, eine weltweit immer wieder an das südafrikanische Apartheidregime herangetragene Forderung. Seine erste öffentliche Ansprache, die wir nachstehend dokumentieren, hielt Nelson Mandela am gleichem Tag vom Balkon des Rathauses in Kapstadt vor 50 000 Menschen (Vgl. auch den Beitrag von Jürgen Ostrowsky "Kein einfacher Weg in die Freiheit" im vorliegenden Heft.) D. Red.

(...) Heute erkennt die Mehrheit der Südafrikaner, Schwarze und Weiße, daß die Apartheid keine Zukunft hat. Sie muß durch unseren entschlossenen Massenprotest beendet werden, damit Frieden und Sicherheit aufgebaut werden können. Die Massenkampagne zivilen Ungehorsams und direkte Aktionen unserer Organisation können nur in der Errichtung der Demokratie münden. Die Zerstörungen, die die Apartheid auf unserem Subkontinent angerichtet hat, sind unermeßlich. Das Familienleben von Millionen Menschen wurde zerrüttet, Millionen sind obdachlos und ohne Arbeit. Unsere Wirtschaft ist ruiniert und unser Volk steht im politischen Kampf. Die Gründung des militärischen Flügels des ANC Umkhonto we Sizwe - im Jahre 1960 war eine rein defensive Aktion gegen die Gewalt der Apartheid. Die Faktoren, die den bewaffneten Kampf notwendig machten, existieren auch heute noch. Wir haben keine andere Wahl, als fortzufahren. Wir haben die Hoffnung, daß bald ein Klima geschaffen wird, das einer Verhandlungslösung förderlich ist, so daß es keine Notwendigkeit mehr für einen bewaffneten Kampf gibt. Ich bin ein loyales Mitglied des ANC. Ich stehe voll hinter dessen Zeilen, Strategien und Taktiken.

Die Notwendigkeit, das Volk unseres Landes zu einen, ist heute genauso wichtig, wie sie immer war. Kein einziger Führer kann diese enorme Aufgabe allein bewältigen. Heute möchte ich Euch mitteilen, daß meine Gespräche mit der Regierung zum Ziel hatten, die politische Situation des Landes zu normalisieren. Wir haben bislang noch nicht begonnen, die grundlegenden Forderungen des Kampfes zu diskutieren. Ich möchte betonen, daß ich zu keiner Zeit Verhandlungen über die Zukunft unseres Landes geführt habe, außer in der Form, auf einer Zusammenkunft zwischen dem ANC und der Regierung zu bestehen. Herr de Klerk ist weiter als jeder andere Präsident der Nationalisten (der seit 1948 regierenden "National Party", d. Red.) gegangen, wirkliche Schritte zu einer Normalisierung der Situation zu unternehmen.

Dennoch müssen noch weitere Schritte, wie sie in der Erklärung von Harare (die Erklärung des Komitees zum südlichen Afrika der Organisation für Afrikanische Einheit, OAU, vom 21. August 1982, die Positionen für Verhandlungen zur Beseitigung des südafrikanischen Apartheidregimes formuliert, d. Red.) enthalten sind, getan werden, bevor Verhandlungen über die grundlegenden Forderungen unseres Volkes beginnen können. Ich bekräftige unsere Forderung nach einer sofortigen Beendigung des Ausnahmezustandes und nach Freilassung a l l e r, nicht nur einiger, politischen Gefangenen. Nur eine solchermaßen normalisierte Situation, die freie politische Aktivitäten ermöglicht, erlaubt uns, unser Volk zu konsultieren und ein Mandat zu erhalten.

Das Volk muß konsultiert werden. Wer verhandeln soll und um welche Inhalte solche Verhandlungen gehen sollen. Verhandlungen dürfen nicht über die Köpfe unseres Volkes hinweg oder hinter dessen Rücken stattfinden. Wir glauben, daß nur ein demokratisches und auf nichtrassischer Grundlage gewähltes Gremium die Zukunft unseres Landes bestimmen kann. Verhandlungen über die Beseitigung der Apartheid müssen dem überwältigenden Wunsch unseres Volkes nach einem demokratischen, nichtrassistischen, geeinten Südafrika Rechnung tragen. Das Monopol der Weißen auf die politische Macht muß ein Ende finden, und das politische und wirtschaftliche System müssen grundlegend umgestaltet werden, um sicherzustellen, daß die Ungleichheiten der Apartheid beseitigt werden und eine druchdringende Demokratisierung unserer Gesellschaft stattfindet. Es muß hinzugefügt werden, daß Herr de Klerk persönlich ein integerer Mensch ist, der sich völlig über die Gefahren im Klaren ist, die daraus erwachsen, daß eine Teil-Öffentlichkeit seine Anstrengungen nicht honoriert.

Aber als Organisation müssen wir bei unserer Politik und Strategie von der harten Realität ausgehen, mit der wir konfrontiert sind, und Realität ist, daß wir nach wie vor unter der Politik der Regierung der "Nationalen Partei" leiden. Unser Kampf hat einen entscheidenden Moment erreicht. Wir rufen ein Volk auf, diesen Moment nicht aufs Spiel zu setzen, so daß der Demokratisierungsprozeß nicht unterbrochen wird. Zu lange haben wir auf unsere Freiheit gewartet. Länger können wir nicht warten. Jetzt ist die Zeit, den Kampf an allen Fronten zu intensivieren. Jetzt in unseren Anstrengungen nachzulassen, wäre ein Fehler, den uns kommende Generationen nicht verzeihen würden. Daß wir die Freiheit am Horizont sehen, sollte uns ermutigen, unsere Anstrengungen zu verdoppeln. Nur durch disziplinierte Massenaktionen können wir unseren Sieg sicherstellen. Wir fordern unsere weißen Landsleute auf, sich uns beim Bau eines neuen Südafrika anzuschließen. Die Freiheitsbewegung ist auch für sie eine politische Hoffnung. Wir fordern die internationale Gemeinschaft auf, die Kampagne zur Isolierung des Apartheidregimes fortzusetzen. Die Sanktionen jetzt zu lockern, hieße zu riskieren, daß der Prozeß der vollständigen Beseitigung der Apartheid fehlschlägt.

Es gibt keine Umkehr auf unserem Weg zur Freiheit. Wir dürfen es nicht zulassen, daß Angst sich uns in den Weg stellt. Allgemeine Zustimmung zu einem gemeinsamen Votum für ein vereintes, demokratisches und nichtrassistisches Südafrika ist der einzige Weg zu Frieden und Harmonie zwischen den Rassen. Zum Schluß möchte ich auf das zurückkommen, was ich während meines Prozesses 1964 gesagt habe. Die Worte sind heute genauso richtig wie damals. Ich zitiere: "Ich habe gegen die weiße Vorherrschaft gekämpft, und ich habe gegen die schwarze Vorherrschaft gekämpft. Ich halte am Ideal einer demokratischen und freien Gesellschaft fest, in der alle Menschen in Harmonie und mit gleichen Möglichkeiten zusammenleben. Es ist ein Ideal, für das ich lebe und das ich zu erreichen hoffe, aber wenn es notwendig sein sollte, bin ich bereit, für eben dieses Ideal zu sterben."

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