Ausgabe Mai 1990

Chemiewaffenfrei?

Und die ihn früher verfolgten, rühmten sich später damit nicht ohne Grund: sie waren seinen Spuren gefolgt. Dieser Aphorismus des polnischen Satirikers Lec geht mir seit dem 7. März nicht mehr aus dem Kopf - seit dem Tag, an dem amerikanische und deutsche Militärs im Chor mit dem rheinland-pfälzischen Innenminister in Clausen erklärten, daß alle amerikanischen C-Waffen zwischen Juli und September abgezogen würden. Zehn Jahre hindurch bin ich als unpatriotischer Defaitist, als antiamerikanischer NATO-Feind, jedenfalls aber als unverschämter Friedensquerulant beschimpft worden, wenn ich verlangte, daß das barbarische Massenvernichtungsmittel Giftgas vom Boden der Bundesrepublik verschwinden müsse. Viele von denen, die sich heute die Rosen des Abrüstungserfolges ans Revers stecken, haben mir gestern noch die Dornen durchs Gesicht gezogen. Mal leugnete der Ministerpräsident, daß es amerikanisches Giftgas in der Pfalz gebe. Als es nichts mehr zu leugnen gab, erklärten Bundeswehr und NATO-Führung, das amerikanische Giftgas sei zur Abschreckung der bösen Feinde notwendig; ja, es existiere sogar eine Giftgaslücke. Das vorletzte internationale Anti-GiftgasForum des DGB in der Mainzer Universität fand ausdrückliche Erwähnung im Verfassungsschutzbericht der Landesregierung.

Mai 1990

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In der Oktober-Ausgabe wertet Seyla Benhabib das ungehemmte Agieren der israelischen Regierung in Gaza als Ausdruck einer neuen Ära der Straflosigkeit. Eva Illouz ergründet, warum ein Teil der progressiven Linken auf das Hamas-Massaker mit Gleichgültigkeit reagiert hat. Wolfgang Kraushaar analysiert, wie sich Gaza in eine derart mörderische Sackgasse verwandeln konnte und die Israelsolidarität hierzulande vielerorts ihren Kompass verloren hat. Anna Jikhareva erklärt, warum die Mehrheit der Ukrainer trotz dreieinhalb Jahren Vollinvasion nicht zur Kapitulation bereit ist. Jan Eijking fordert im 80. Jubiläumsjahr der Vereinten Nationen mutige Reformen zu deren Stärkung – gegen den drohenden Bedeutungsverlust. Bernd Greiner spürt den Ursprüngen des Trumpismus nach und warnt vor dessen Fortbestehen, auch ohne Trump. Andreas Fisahn sieht in den USA einen „Vampirkapitalismus“ heraufziehen. Und Johannes Geck zeigt, wie rechte und islamistische Rapper Menschenverachtung konsumierbar machen.

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