Ausgabe November 1991

Einheitsschäuble, Schäubleeinheit

Zur Rekonstruktion eines nationalen Naturereignisses

Bücher, die unter dem Namen amtierender Politiker in Umlauf gebracht werden, finden in der Regel wenig Beachtung. Und zu recht, denn in der Regel kommen solche PR-Erzeugnisse über die branchenüblichen Sprechblasen kaum hinaus. Wenn hier trotzdem auf ein Politikerbuch eingegangen werden soll - Wolfgang Schäubles von zwei "Spiegel"-Redakteuren aufgezeichneten und bearbeiteten Bericht in eigener Sache: "Wie ich über die Einheit verhandelte" *) , so deshalb, weil Schäubles Selbstdarstellungs- und Selbststilisierungsdrang zu einer außergewöhnlichen Quelle geführt hat. Der Minister, der mit seinem ministerialbürokratischen Ost-Double Günter Krause die neuerliche Vereinigung der Deutschen von oben exekutieren durfte und wie kaum ein anderer neben Kohl und Genscher, Brandt und Vogel ihre Folgen zu verantworten hat, unternimmt es mit weniger als einem Jahr Abstand zur "Tat", der Geschichtsschreibung über den "Vereinigungsprozeß" vorzugreifen.

"Erfahrungsberichte erstklassiger Akteure" wie Schäubles Buch werden, so urteilt der Adenauer-Biograph Hans-Peter Schwarz ("Die Welt", 11.6.1991), "über Jahre das Geschichtsbild bestimmen." Was Schäubles "Erfahrungsbericht" aus der Vielzahl ebenfalls 1991 erschienener Instant-Memoiren - von Momper, Modrow, Mittag, Bergmann-Pohl z.B.

November 1991

Sie haben etwa 4% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 96% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (1€)
Digitalausgabe kaufen (10€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe September 2025

In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist. 

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema

Patriotische Zivilgesellschaft: Das Vorfeld der AfD

von Sebastian Beer

Alice Weidel war genervt von der Geräuschkulisse während ihres Sommerinterviews Ende Juli in der ARD. Um das Gespräch mit der AfD-Vorsitzenden zu stören, hatten sich Aktivist:innen des Künstlerkollektivs Zentrum für Politische Schönheit unweit des TV-Studios versammelt und Musik abgespielt.

Ernst, aber nicht hoffnungslos

von Thorben Albrecht, Christian Krell

Spätestens seit Ralf Dahrendorfs berühmt gewordener These vom „Ende des sozialdemokratischen Jahrhunderts“ gehören SPD-Niedergangsprognosen zu den Klassikern der parteibezogenen Publizistik. Die Partei hat diese Prognose bisher um 42 Jahre überlebt. Aber das konstituiert keine Ewigkeitsgarantie.