Die Situation im Lande hat sich in den Tagen, die seit der Zerschlagung des Putsches vergangen sind, von Grund auf geändert, Die Haupthebel der Macht entgleiten den Händen jener Kräfte, die jahrzehntelang das Land regiert haben. Die früher unerschütterlichen Strukturen des Parteiapparates, des KGB und jener Staatsorgane, die ihren Willen vollstreckten, stürzen zusammen. Bildlich gesagt, erfolgt der Einsturz des Unionszentrums, der Einsturz jenes mächtigen bürokratischen Systems, das sechs Jahre lang den Umgestaltungen im Wege stand. In dieser ganzen Zeit bestanden die demokratischen Kräfte des Landes, darunter auch das Parlament und die Regierung Rußlands, auf einschneidenden Reformen des Zentrums. Statt sie durchzufahren, ließ die Unionsbürokratie keine Möglichkeit ungenutzt, um ihre Positionen zu stärken. Sie hemmten auf jede Weise die progressiven Umgestaltungen in den Republiken, vor allem aber in Rußland.
Angesichts der bevorstehenden Unterzeichnung des Unionsvertrages zog sich über ihnen eine reale Gefahr zusammen, weshalb sie sich zu äußersten Maßnahmen entschlossen und den volksfeindlichen Staatsstreich vollzogen. Sie wurden aber in kürzester Zeit vom Volk hinweggefegt. Das ganze Geschehen erregt bei den Menschen große Besorgnis und Unruhe: Werden die jüngsten Ereignisse nicht zu Chaos und Anarchie führen? Ich will den Mitbürgern versichern, daß wir, ich als Präsident, die Führung Rußlands, die Situation in Rußland und seinen Regionen völlig unter Kontrolle haben. Wir verfügen über ausreichende Möglichkeiten, um die Stabilität aufrechtzuerhalten, um in dieser komplizierten Zeit den friedlichen Charakter der Veränderungen zu sichern.
Wir unterhalten ständige Kontakte mit Präsident Gorbatschow, den höchsten Repräsentanten der Republiken und stimmen unsere Handlungen ab. Ich will entschieden erklären: Das Auseinanderfallen des Zentrums bedeutet kein Auseinanderfallen des Landes, geschweige denn Rußlands. Die Zeiten der Allmacht der Partei und ihrer Strukturen sind vorbei. In letzter Zeit hat sich das System der legitimen Macht bereits ausreichend gefestigt, in Rußland betätigt sich das auf demokratischem Wege gewählte Parlament, nach der Wahl des Präsidenten verstärken sich seine vollziehenden Strukturen.
Der politische Kurs, dem wir folgen, findet beim Volk Unterstützung. Solche Veränderungen vollzogen sich auch in anderen Republiken. Verwirrung und Panik entstehen nur dort, wo die Machtorgane einen Deckmantel für die Parteiherrschaft schufen, und diesen Regionen wird besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Zugleich weist die Tätigkeit der Führung Rußlands heute viel Neues auf. Nach der Liquidierung des Staatsstreichs im Lande begann faktisch eine Übergangsperiode. Es begann bereits die Bewegung vom Monopol der staatlichen Strukturen in der Wirtschaft zum Markt, von der Allmacht und Unkontrolliertheit des bürokratischen Apparats zur Demokratie, vom ideologischen Diktat der KPdSU zur geistigen Freiheit, von der unitären überzentralisierten Gesellschaft zu einem freien Bündnis souveräner Staaten. Der wichtigste Sinn der Übergangsperiode besteht in der Befreiung aller Lebensbereiche unserer Gesellschaft vom Kommunismus. Die neue Situation gebietet eine unverzügliche Lösung einer Reihe von Problemen.
Zum ersten. Alle beunruhigt das Schicksal der Union, alle äußern Besorgnis über ihre Zukunft. Der Staatsstreich hat das Land wirklich mächtig erschüttert, er hintertrieb die Unterzeichnung des Unionsvertrages und verstärkte die zentrifugalen Tendenzen. Die Situation ist wirklich kompliziert, aber nicht hoffnungslos. Ich treffe in diesen Tagen immer wieder mit den fahrenden Repräsentanten der Republiken zusammen, spreche mit ihnen am Telefon und überzeuge mich ein weiteres Mal davon, daß sich die Idee der Union nicht erschöpft hat, das Streben nach einer neuen, wirklich freien, wirklich freiwilligen Union souveräner und, ich betone, gleichberechtigter Staaten ist nach wie vor stark. Die Ereignisse haben lediglich unsere Vorstellungen über sie präzisiert. Uns soll die Unabhängigkeitserklärung einer Reihe von Republiken nicht erschrecken. Zur Union werden sich vollwertige Staaten, aber keine Gespenster vereinigen.
Nur in einem solchen Fall werden sie die Möglichkeit erhalten, der Union eine Reihe ihrer Funktionen zu delegieren. Die Republiken werden selbst ein neues Zentrum, die Organe der Leitung für die wichtigsten Richtungen, der Koordinierung der Wirtschaftsreform, die Streitkräfte, das Atompotential und andere schaff en. Sie werden genau bestimmen, welche Machtorgane auf Unionsebene notwendig sind, und ihre Zuständigkeitsbereiche und Strukturen umreißen. Ich möchte betonen, daß ein Unionszentrum existieren muß, es ist aber notwendig, die Zahl seiner Mitarbeiter und die Ausgaben für seinen Unterhalt stark zu kürzen. Dafür fanden wir bei anderen Republiken Unterstützung. Ich hatte ein Treffen mit dem Präsidenten von Kasachstan Nasarbajew, und wir bekräftigten unsere Treue zur Union. Es fand ein Treffen mit den fahrenden Repräsentanten der Republiken der Russischen Föderation statt. Dabei wurde bestätigt, daß Rußland einheitlich und unteilbar zur Union gehören muß.
Zum zweiten. Die Niederlage der Reaktion warf die Frage auf: Werden die demokratischen Kräfte den Sieg nicht für sich ausschlachten? Ich versichere entschieden, daß die Diktatur der Parteibürokratie nicht von der Diktatur der Demokraten abgelöst wird, geschweige denn der Demokraten Rußlands. Wir wollen die Entwicklung des demokratischen Prozesses und die Herausbildung eines Rechtsstaates auch künftig auf jede Weise fördern. Das ist besonders wichtig in der Übergangsperiode. Heute ist die Tätigkeit der Kommunistischen Partei Rußlands und einer Reihe von Zeitungen ausgesetzt worden. Aus diesem Anlaß werden viele Spekulationen angestellt.
Der Sinn dieser Maßnahmen besteht darin, das Maß der realen Beteiligung dieser Ausgaben und Amtspersonen an der verbrecherischen staatsfeindlichen Tätigkeit festzustellen, nicht aber, sie einfach zu verbieten. Nebenbei gesagt, ist die "Moskowskaja Prawda" nicht mehr das Presseorgan des Moskauer Stadtkomitees der Partei, das Kollektiv hat sie übernommen, eben als Organ des Kollegiums und der Redaktion der Zeitung selbst. Sie erschien nach der Unterbrechung zum erstenmal als Nummer eins. Das heißt, daß der Name zwar der alte geblieben ist, daß es aber eine Zeitung mit einer ganz neuen Orientierung ist. Ich denke, daß dies auch mit anderen Zeitungen so gehen wird. Was die Partei betrifft, so bekräftige ich meine Treue zu den Prinzipien des Mehrparteiensystems. Ich meine aber, daß es in einem demokratischen Rechtsstaat unzulässig ist, daß eine Partei über dem Staat steht, geschweige denn, daß sie die Möglichkeit hat, Staatsstreiche vorzubereiten und durchzuführen. Zugleich will ich erklären, daß ich ein Gegner jeder Schmälerung der Rechte der einfachen Kommunisten, der Rache an Menschen bin, die im Apparat gearbeitet haben. (...)
Zum Eigentum der Partei. Heute wird von den Sowjets und von der Eigentumsverwaltung des Ministerrats der Russischen Föderation bestimmt, wem es gehören wird. Ich will aber allen Bürgern Rußlands versichern, daß das nicht bedeutet, daß, zum Beispiel, Sanatorien, Erholungsheime, Datschen usw. von den einen Vorgesetzten zur Nutzung an andere übergehen werden, nein, sie werden dem ganzen Volk zur Nutzung übergeben. Wir müssen über all dem stehen. Die Vorschläge für die Auflösung der KPdSU gehen von Kommunisten selbst aus, sie werden über ihr Schicksal zu entscheiden haben. Zum dritten. In den Tagen des Staatsstreichs wurde die Frage nach den Perspektiven der Streitkräfte des Landes wieder scharf gestellt. Rußland und andere Republiken haben sich von der Notwendigkeit überzeugt, republikanische Formationen vom Typ Nationalgarde aufzustellen. Das muß natürlich auf einer genauen rechtlichen Grundlage erfolgen. Gemeint ist eine dreitausend bis viertausend Mann starke Nationalgarde Rußlands, damit es möglich ist, sich vor einer Situation zu schützen, wie sie am 19., 20. und 21. entstanden war.
Sie sind dafür, daß in den Streitkräften eine Reform durchgeführt wird. Ich habe heute Präsident Gorbatschow vorgeschlagen, ein besonderes Komitee für die Vorbereitung eines Entwurfs für eine solche Reform zu bilden, an deren Spitze Konstantin Kobez stehen soll. Heute unterzeichnete ich eine besondere Verfügung über die Verstärkung der sozialen Sicherstellung der Armeeangehörigen, die ihren Wehrdienst auf dem Territorium der Russischen Föderation ableisten. Das hatte ich vor den Präsidentschaftswahlen in Rußland versprochen. Die meisten Truppenteile verdienten während des Putsches, an dem sie entweder gar nicht teilgenommen oder sich neutral verhalten haben, großen Dank und Anerkennung. Ich möchte, daß man hier die Streitkräfte nicht schmäht, daß es keine Verfolgungen gibt, daß man umgekehrt die Armeeangehörigen in Schutz nimmt, weil sich die Streitkräfte nicht gegen das Volk, sondern gegen die Junta erhoben haben.
Zugleich vertreten sowohl andere Republiken als auch die Russische Föderation entschlossen die Meinung, daß einheitliche Streitkräfte der Union bestehen müssen. Jegliche Teilung der strategischen Waffen unter den Republiken wird kategorisch ausgeschlossen, denn dadurch könnte eine zusätzliche Gefahr für den Frieden geschaffen werden. Zum vierten. Unsere gemeinsame Pflicht besteht darin, die Stabilität und die Ruhe im Lande zu wahren, keinen zivilen Widerstreit zuzulassen. Der Putsch hat die Bevölkerung in Aufruhr gebracht, viele Widersprüche verschärft, einen Ausbruch der Emotionen bewirkt. Man darf nicht zulassen, daß sie sich der Gesellschaft bemächtigen, eine Welle der Grausamkeit und Rache hochgehen lassen. Die Untersuchung aller Umstände des Putsches müssen entsprechende Organe der Staatsanwaltschaft durchführen, damit muß sich das Gericht beschäftigen.
Man darf nicht wieder eine Hexenjagd, wie das einstmals der Fall gewesen ist, zulassen. Das betrifft die vielen Menschen, die in jenem Moment in Verwirrung gerieten und nicht sofort ihre Position bestimmen konnten. Unzulässig sind jegliches Heruntermachen in Kollektiven, die berechtigten Kameradschaftsgerichte und anderes. Dieses Erbe des alten Systems muß verworfen werden. Ich meine, daß ich das moralische Recht besitze, Sie aufzurufen, nicht jenen ähnlich zu werden, die erst vor kurzem viele ehrliche Menschen, darunter auch mich, an den Pranger stellten. Zur Verantwortung müssen nur jene gezogen werden, deren Handlungen unter entsprechende Artikel des Gesetzes und des Strafgesetzbuches fallen. Unter dem Schutz des Gesetzes stehen die Kinder, die Familien, die nächsten Verwandten der Teilnehmer am Putsch. Es darf keine Schmälerung ihrer Rechte zugelassen werden. Zum fünften.
Der Staatsstreich hat uns aus dem normalen Gleis geworfen, von den kompliziertesten Problemen des Landes und Rußlands abgelenkt. Wir haben die Demokratie verteidigt und der Diktatur eine Abfuhr erteilt. Heute kommt es darauf an, so schnell wie möglich den normalen Arbeitsrhythmus wiederherzustellen, das heißt, der Siegeseuphorie muß ein Ende gesetzt werden. Wollen wir nicht außer acht lassen, daß der Winter bald kommt, daß eine allerdings nicht so reiche Ernte wie im vorigen Jahr erzielt worden ist. Sie muß unter Dach und Fach gebracht werden. Nebenbei gesagt, haben die Armeeangehörigen auf unseren Aufruf, dabei zu helfen, sehr gut reagiert und sind bereit, bis zur endgültigen Einbringung der Ernte nach Kräften Hilfe zu leisten. Wir haben alle Hände voll zu tun, und es kommt auf äußerste Konzentration an. Gestern fand eine Sitzung des Staatssowjets Rußlands statt, der die erstrangigen Aufgaben in der Russischen Föderation festlegte. Ich verspreche Ihnen, Sie bei unseren nächsten Treffen über die wichtigsten Schritte der Führung Rußlands zu informieren. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.