1. Paul Rohrbachs "Orangentheorie" scheint nach acht Jahrzehnten Wirklichkeit geworden zu sein, sein Traum vom Zerlegen des osteuropäischen Großreichs "wie eine Orange", um die Vorherrschaft des Deutschen Reichs in jenen Territorien zu sichern. Als "Dekompositions"-Perspektive wurde sie im Ersten Weltkrieg Teil der offiziellen Außenpolitik und im Vertrag von Brest-Litowsk vom März 1918 von der Ostsee bis zum Kaspischen Meer für wenige Monate in brutaler Perfektion realisiert. Ja, sogar der Traum Hugenbergs, welcher im Gefolge Paul Rohrbachs und jener Außenpolitik im Sommer 1933 auf der Weltwirtschaftskonferenz in London die Loslösung der Ukraine von der Sowjetunion forderte (was selbst der Regierung Hitler damals als so unklug erschien, daß sie Hugenberg umstandslos als Reichswirtschaftsminister ablöste), scheint nunmehr Realität zu werden. Beides freilich geschieht unter wesentlich anderen Bedingungen als vor 60 oder 80 Jahren: a) Die Staaten der bisherigen Sowjetunion haben eine relative Industrialisierung, d.h. die Entwicklung weit höherer Produktivkräfte geleistet, als es seinerzeit der Fall war. b) Sie haben eine Staatsgewalt hervorgebracht, die im Hinblick auf äußere Macht- und Zerstörungsmittel auf dem höchsten Niveau hegt.
In der Oktober-Ausgabe wertet Seyla Benhabib das ungehemmte Agieren der israelischen Regierung in Gaza als Ausdruck einer neuen Ära der Straflosigkeit. Eva Illouz ergründet, warum ein Teil der progressiven Linken auf das Hamas-Massaker mit Gleichgültigkeit reagiert hat. Wolfgang Kraushaar analysiert, wie sich Gaza in eine derart mörderische Sackgasse verwandeln konnte und die Israelsolidarität hierzulande vielerorts ihren Kompass verloren hat. Anna Jikhareva erklärt, warum die Mehrheit der Ukrainer trotz dreieinhalb Jahren Vollinvasion nicht zur Kapitulation bereit ist. Jan Eijking fordert im 80. Jubiläumsjahr der Vereinten Nationen mutige Reformen zu deren Stärkung – gegen den drohenden Bedeutungsverlust. Bernd Greiner spürt den Ursprüngen des Trumpismus nach und warnt vor dessen Fortbestehen, auch ohne Trump. Andreas Fisahn sieht in den USA einen „Vampirkapitalismus“ heraufziehen. Und Johannes Geck zeigt, wie rechte und islamistische Rapper Menschenverachtung konsumierbar machen.