Wir legen Wert darauf, uns von der veröffentlichten Meinung des einen Deutschland, welche sich mehrheitlich darauf verständigt hat, die Verhaftung des früheren Staatsratsvorsitzenden der DDR zu begrüßen und der Justiz bei der Bestätigung der bereits erfolgten Vorverurteilung eine glückliche Hand zu wünschen, durch folgende Feststellungen zu unterscheiden:
I. Die Verschleppung Erich Honeckers von Moskau nach Berlin, seine Inhaftierung im Gefängnis von Moabit und das Gerichtsverfahren gegen ihn sind Aktionen ausschließlich politischer Art. Die strafrechtlichen Begründungen, die hierfür angeführt werden, sind haltlos und dienen nur als Vorwand.
II. Mit der Aktion gegen Honecker verfolgt die politische Klasse der Bundesrepublik - samt ihrer Justiz - unserer Beobachtung nach zwei Ziele: Erstens: Das größer gewordene Deutschland hat demonstriert, daß es die Macht hat international seinen Willen gegen das Widerstreben anderer durchzusetzen. Zweitens: Bereits 1973 ließ sich die BRD durch das Bundesverfassungsgericht bestätigen, sie sei "nicht 'Rechtsnachfolger' des Deutschen Reiches, sondern als Staat identisch mit dem 'Staat Deutsches Reich'". Solange es die Deutsche Demokratische Republik gab, war dieser Anspruch fiktiv. Das Grenzregime der DDR war gesetzlich normiert und - unabhängig davon, wie es politisch zu bewerten ist - eine Ausformung ihrer völkerrechtlich anerkannten Souveränität. Indem staatliches Handeln nunmehr als privater Straftatbestand verfolgt werden soll, wird versucht, die DDR, die 1990 zu bestehen aufgehört hat, im nachhinein auch historisch als ungeschehen zu behandeln: Was es nie hätte geben dürfen, hat nach dieser Logik - nie bestanden.
III. Die Inhaftierung Erich Honeckers setzt zugleich die deutsche Tradition der Verfolgung von Kommunisten und Sozialisten fort. Die Fälle Honecker, Bebel, Dimitroff, Luxemburg, Karl und Wilhelm Liebknecht und Thälmann sind darin vergleichbar, daß sich das bürgerliche Deutschland zur politischen Verfolgung dieser höchst unterschiedlichen Persönlichkeiten der sozialistischen und kommunistischen Bewegung juristischer Mittel bedient. Welche Teile ihres Bestecks, ob politisches Strafrecht, Totschlags- und "Untreue"-Paragraphen, die Politische Justiz jeweils anwendet, entscheidet sie nach jeweiliger Opportunität. Erich Honecker, verfolgt von ihr wegen Hochverrats am Deutschen Reich, ist angeklagt als Dieb und Totschläger.
IV. Der Vollständigkeit halber weisen wir darauf hin, daß die Haupt- und Staatsaktion um Honecker ganz offensichtlich als ablenkende Therapie bei der Behandlung der sozialen Verdauungsschwierigkeiten der Wiedervereinigung dienlich ist. Das ist eine alte Herrschaftstechnik.
V. Die politische Verantwortung Erich Honeckers gegenüber der Bevölkerung der ehemaligen DDR und gegenüber der sozialistischen Bewegung kann nicht juristisch definiert werden. Eine Strafkammer der BRD ist für ihre Beurteilung ein völlig ungeeignetes Organ. Wir fordern, das Verfahren gegen Erich Honecker und seine Mitangeklagten sofort einzustellen nicht aus Alters-, Gesundheitsoder "humanitären" Rücksichten, sondern weil es außer der durchsichtigen politischen Absicht keinen Grund für einen Prozeß gibt. Wir wissen, daß für den Staat, der allein dieser Forderung entsprechen könnte, die Verfolgung Honeckers und seiner Mitangeklagten Teil seiner Bemühungen ist, sich als politische, ideologische und immer frecher auch als militärische Hegemonialmacht zu etablieren. Wir erheben die offensichtlich inkonsequente Forderung dennoch, weil resignierende Hinnahme dieses politischen Kraftaktes zu seiner Legitimierung selbst durch jene beitragen würde, die ihn als solchen erkannt haben.
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