Ausgabe September 1992

In 100 Tagen in eine andere Republik

Die konzentrierte Aktion Kinkel/Rühe

"In der deutschen Geschichte sind wir häufig militärisch voranmarschiert und haben uns auf schlimme Weise isoliert und Verbrechen begangen. Aber es darf auch nicht die umgekehrte Situation eintreten."

Aus der Bundestagsrede des Bundesministers der Verteidigung, Volker Rühe, am 22. Juli 1992 Aufgeregtheit als besonderes Kennzeichen der Kritik ist out. En vogue ist demonstrative Gelassenheit, eben das Gegenteil von "unnüchtern" (Richard von Weizsäcker). Der Abgeklärtheit liegt allerdings gerade keine déj?-vu-Weltläufigkeit zugrunde, der nichts mehr neu wäre, sondern ein unverstellter Gegenwartsoptimismus. Alles schon mal dagewesen - das sind bestenfalls die anderen, schlimmerenfalls Geschichtsneurotiker. Und dementsprechend lernen wir im "Freitag", daß knapp verhinderte Bosnien-Interventen (CDU-MdB Lamers: "Wenn die Serben nicht bis heute, 24 Uhr...") und schrille Wehret-den-Anfängen-Mahner gleichermaßen hysterisch und als solche sehr deutsch seien. Nicht genug damit.

Am angegebenen Ort erfahren wir außerdem, daß es gar nicht. die Regierung sei, die das Ruder herumwerfe; der Kurswechsel resultiere vielmehr aus einem den globalpolitischen Veränderungen geschuldeten unwiderstehlichen Anpassungssog.

September 1992

Sie haben etwa 6% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 94% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (1€)
Digitalausgabe kaufen (10€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe September 2025

In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist. 

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema

Die neue Merz-Doktrin?

von Jürgen Trittin

Jahrzehntelang durfte in keiner Grundsatzrede eines deutschen Politikers in Regierungsverantwortung der Satz fehlen: „Wir setzen auf die Stärke des Rechts statt auf das Recht des Stärkeren.“ Doch das war einmal. Bundeskanzler Merz‘ lautstarkes Räsonieren über den Krieg Israels gegen den Iran markiert den Bruch mit dieser Tradition.

Eigennutz statt Solidarität

von Klaus Seitz

Etwa eine Milliarde Euro weniger als im vergangenen Jahr steht dem Bundesentwicklungsministerium 2025 zur Verfügung. Doch nicht nur der Spardruck macht der Entwicklungszusammenarbeit zu schaffen, auch die strategische Neuausrichtung gefährdet ihre Zukunftsfähigkeit.

Besser als ihr Ruf: Die europäische Afrikapolitik

von Roger Peltzer

Schon unter Angela Merkel hat der afrikanische Kontinent in der deutschen Bundesregierung große politische Aufmerksamkeit erfahren. Die Ampelregierung setzt diesen Kurs fort: Seit seinem Amtsantritt reiste Bundeskanzler Olaf Scholz jedes Jahr nach Afrika.