Zu Italiens "sanfter Revolution" (vgl. meinen Beitrag im Maiheft der "Blätter") hat die Arbeit der Justiz gewiß entscheidend beigetragen. Mit ihrer im Volksmund so genannten Operation "Saubere Hände" legte sie offen, wie vor allem die "Blockparteien" (der seit fast einem halben Jahrhundert herrschende Regierungsblock um die Christdemokraten) zu kriminellen Vereinigungen verkommen waren, wie sie die Politik zum Geschäft gemacht hatten und sich mit Staats- und Steuergeldern ein schönes Leben machten. Seinen Anteil an dem italienischen Umsturz hat zweifellos auch, daß mit dem Wegfall des äußeren Feindes im Osten der Blick geschärft wurde für die Verhältnisse im Innern und die Probleme des Landes aus einer anderen Optik heraus analysiert wurden. Ebensowenig darf der Beitrag außer Acht gelassen werden, den gesellschaftspolitisch progressive (transversale) Kräfte schon vor '89 und verstärkt danach geleistet haben, indem sie dieses im "Kalten Krieg" gewachsene und konsolidierte Herrschaftssystem bloßstellten und sowohl an der "Korruptionsfront" im Norden wie an der "Mafiafront" im Süden des Landes angriffen.
In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist.