"Kein anderes Ereignis meiner Zeit als Außenminister bewirkte ein so tiefes Nachdenken über die von Emotionen geprägte, komplexe und komplizierte Rolle Deutschlands in Vergangenheit und Gegenwart und über die Beziehungen Deutschlands zur übrigen Welt wie die Kontroverse über Präsident Reagans Besuch in Bitburg 1985." So beginnt - mit der lakonischen Überschrift "Bitburg" - das längste Kapitel der Erinnerungen, die George P. Shultz kürzlich unter dem Titel "Turmoil and Triumph. My Years as Secretary of State" veröffentlicht hat. Der seinerzeitige Chef der amerikanischen Diplomatie faßt in seiner minuziösen Ablaufschilderung die international unvergessene "lesson of Bitburg" zusammen: Was jemandem passieren kann, und sei er auch Präsident oder Außenminister der USA, wenn er sich auf den Historiker Kohl und seine Konzeption von "Versöhnung" einläßt. Die diesjährigen Debatten, Vorstöße und halben Rückzüge von Omaha Beach über Weimar und Berlin bis zu den Londoner "Schlußstrich"-Plänen für den 8. Mai 1995 (vgl. den Beitrag von Helmut Ridder in diesem Heft) demonstrieren, daß die Lektion von Bitburg keineswegs verarbeitet, keine abgeschlossene Geschichte ist.
In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist.