Ausgabe September 1994

Die Entdeckung der Schreibtischtäter

Endlich müssen auch deutsche Spitzenpolitiker, oberste Staatsschützer und Generale für ihre menschenrechtswidrigen politischen Beschlüsse als Täter strafrechtlich büssen - nicht nur ihre Untergebenen und Befehlsempfänger. Nach dem neuesten Urteil des 5. Strafsenats des Bundesgerichtshofes (BGH) vom 26. Juli 1994 (Az. 5 StR 98/94) sind die Angehörigen der höheren Hierarchieebenen eines Staates, ohne Ansehen der Person und Funktion, nicht mehr vor Strafe gefeit oder privilegiert. Nicht länger werden sie nur als Anstifter zur kriminellen Tat oder lediglich als Gehilfen der unmittelbaren Täter eingestuft - nein, sie werden selbst als Täter belangt: als Totschläger, als Gewalttäter, als Freiheitsberauber, als Grundrechtsverletzer in „mittelbarer Täterschaft".

Ob wohl nach diesem Urteil das große Zittern unter den exekutiven Spitzenpolitikern und Befehlsgebern dieser Republik ausbrechen wird? Schlechte Zeiten für polit-kriminelle Drahtzieher, Hintermänner und Schreibtischtäter? „Ein Stück Gerechtigkeit", so jubelt „Die Welt" am 27. Juli 1994 und mit ihr andere Tageszeitungen.

September 1994

Sie haben etwa 32% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 68% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (1€)
Digitalausgabe kaufen (10€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe Oktober 2025

In der Oktober-Ausgabe wertet Seyla Benhabib das ungehemmte Agieren der israelischen Regierung in Gaza als Ausdruck einer neuen Ära der Straflosigkeit. Eva Illouz ergründet, warum ein Teil der progressiven Linken auf das Hamas-Massaker mit Gleichgültigkeit reagiert hat. Wolfgang Kraushaar analysiert, wie sich Gaza in eine derart mörderische Sackgasse verwandeln konnte und die Israelsolidarität hierzulande vielerorts ihren Kompass verloren hat. Anna Jikhareva erklärt, warum die Mehrheit der Ukrainer trotz dreieinhalb Jahren Vollinvasion nicht zur Kapitulation bereit ist. Jan Eijking fordert im 80. Jubiläumsjahr der Vereinten Nationen mutige Reformen zu deren Stärkung – gegen den drohenden Bedeutungsverlust. Bernd Greiner spürt den Ursprüngen des Trumpismus nach und warnt vor dessen Fortbestehen, auch ohne Trump. Andreas Fisahn sieht in den USA einen „Vampirkapitalismus“ heraufziehen. Und Johannes Geck zeigt, wie rechte und islamistische Rapper Menschenverachtung konsumierbar machen.

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema Nationalsozialismus

Allzu perfekte Opfer

von Olga Bubich

„Das normale Vergessen ist der programmierte Zelltod des geistigen Lebens. Es formt die Erfahrung zu einer nützlichen Geschichte“, schreibt der amerikanische Schriftsteller Lewis Hyde. Da es keinen Grund gibt, ihm zu widersprechen, stellt sich eine nicht minder logische Frage – nützlich für wen?

Befreiung als Zusammenbruch

von Klaus-Dietmar Henke

Im August 1941 wandte sich Thomas Mann in einer seiner berühmten Radiobotschaften aus dem amerikanischen Exil wieder einmal an die deutschen Hörer. Die Sowjetunion schien fast besiegt, die Vereinigten Staaten befanden sich noch nicht im Krieg, Präsident Roosevelt und Winston Churchill hatten mit der Atlantik-Charta eben ihren Gegenentwurf zu Hitlers Pax Germanica der totalen Unterwerfung verkündet.

Kein »Lernen aus der Geschichte«

von Alexandra Klei, Annika Wienert

Wofür steht der 8. Mai 1945 in der deutschen Erinnerungskultur? Bereits zum 70. und zum 75. Jahrestags beschäftigten wir uns ausführlich mit dieser Frage. Ist dem jetzt, am 80. Jahrestag, etwas Neues hinzuzufügen?