"Warum so wenig über den Widerstand bekannt ist? Weil er gescheitert ist, weil das deutsche Volk nicht einmal den Versuch unternommen hat, Hitler zu beseitigen." Der das meint, Heinrich Graf von Einsiedel, hatte 1943 mit seinen Kampfgefährten vom "Nationalkomitee Freies Deutschland" (NKFD) vergeblich von Rußland aus zur Erhebung aufgerufen. Das bündige Urteil des Grafen geäußert auf einer Tagung mit dem Titel "Was aus Deutschland werden sollte: Konzepte des Widerstands, des Exils und der Alliierten" Ende Januar in Marburg - imitiert. War tatsächlich das Scheitern der Grund für Vergessen und Verdrängen des Widerstands? Den "Männern des 20. Juli 1944" jedenfalls hat der gescheiterte Versuch des Umsturzes gereicht, um in die offizielle Geschichtsschreibung der Bundesrepublik aufgenommen zu werden und gar der Identitätsstiftung zu dienen - während die Mitglieder des NKFD weiter als Verräter diffamiert werden und mehrere Zehntausend vom NS-Regime verurteilte Wehrmachtsdeserteure und "Wehrkraftzersetzer" (bzw. ihre Angehörigen) auf die Rehabilitierung warten. Reinhard Kühnl beschrieb im Eröffnungsreferat grundsätzliche "Schwierigkeiten, die Wahrheit über den Widerstand zu ermitteln".
In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist.