Der Frankfurter Test auf die Zukunftsfähigkeit von Rot-Grün
Frankfurt am Main, S-Bahn, Erste Klasse. Durchs Fenster den Blick auf Deutschlands einzige Skyline, von den Abteilwänden knallen die Werbesprüche des "Handelsblattes": "Der Klügere gibt nach; aber was macht der Klügste?" - "Wollen Sie nicht mehr verdienen als immer nur Anerkennung? "Die Leute in den Chefetagen sind nicht mit dem Aufzug dorthin gekommen!" - "Wie weit wollen Sie in fünf Jahren sein? Und warum erst in fünf Jahren?" Ankunft im Hauptbahnhof: Empfang durch Junkies, Obdachlose, Bettler, schnurstracks auf kein Ziel hinsteuernde Arbeitslose mit Bierdose und stierem, ausweichendem Blick. Mit gleicher Direktheit und Schamlosigkeit präsentiert die Stadt den boomenden Reichtum wie das wachsende Elend, die Wolkenkratzer wie die Armut in deren Schatten, und präsentiert so deutlicher als jeder andere Ort in Deutschland die zwei Gesichter der Postmoderne in den westlichen Kernländern.
Man kann das auch weniger impressionistisch deutlich machen: Frankfurt hat genauso viele Bankangestelle wie Sozialhilfeempfänger (je 60 000). In dieser Modellstadt für die Moderne ist Rot-Grün vorläufig gescheitert, die Koalition zerbrochen ausgerechnet in dem Augenblick, da sich der gesammelte politische Eros des Landes der neuen Liebschaft Schwarz-Grün zuwendet.