Ausgabe August 1996

Die Menschenrechtssituation in Tibet verbessern.

Resolution des Deutschen Bundestages vom 20. Juni 1996 (Wortlaut)

Der Bundestag hat am 20. Juni 1996 eine Resolution zur Situation der Menschenrechte und zur Politik Chinas verabschiedet. Der von den Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, von Bündnis 90/Die Grünen und der FDP eingebrachte Entschließungsantrag wurde mit den Stimmen fast aller Abgeordneten (Enthaltungen bei der PDS) angenommen. Die Bundestagsdebatte, die Verabschiedung der Resolution und die Öffentlichen Diskussionen im Umfeld wurden von heftigen Protesten der Pekinger Führung begleitet, die von einer "groben Einmischung in die inneren Angelegenheiten Chinas" und einem "abartigen Akt" sprach, und hatten u.a. die Ausladung von Bundesaußenminister Kinkel zur Folge, dessen Besuch in China für Juli geplant war. D. Red.

Die Menschenrechtssituation in Tibet hat sich seit dem von allen Fraktionen gemeinsam gefaßten Beschluß des Deutschen Bundestages vom 15. Oktober 1987 nicht verbessert, sondern weiter verschlechtert. Dies hat insbesondere die Anhörung der Auswärtigen Ausschusses vom 19. Juni 1995 zu Tibet ergeben. Beginnend mit den unmenschlichen Militäraktionen im Jahr 1950, dauert die gewaltsame Unterdrückung Tibets und seines Strebens nach politischer, ethnischer, kultureller und religiöser Selbstbestimmung bis heute an. Die fortgesetzte Repressionspolitik Chinas in Tibet hat schwere Menschenrechtsverletzungen, Umweltzerstörungen, sowie massive wirtschaftliche, soziale, rechtliche und politische Benachteiligungen der tibetischen Bevölkerung und letztlich die Sinisierung Tibets zur Folge. Dazu zählt insbesondere die Vorenthaltung gleicher Bildungschancen für die tibetische Bevölkerung.

Ein Beispiel für die Behinderung des religiösen Lebens der Tibeter ist die Entführung des Jungen, der vom Dalai Lama als Reinkarnation des Panchen Lama benannt wurde, sowie die Einsetzung des zweiten Panchen Lama durch die chinesischen Behörden. Der Dalai Lama bemüht sich seit Jahren um einen friedlichen Dialog mit der chinesischen Regierung.

Der Deutsche Bundestag,

1. im Hinblick darauf, daß Tibet sich in der gesamten Geschichte eine eigene ethnische, kulturelle und religiöse Identität bewahrt hat,

2. tief besorgt darüber, daß diese eigenständige Identität seit dem Vorgehen Chinas mit brutaler Waffengewalt im Jahr 1950 von der Zerstörung bedroht ist,

3. unter Berücksichtigung, daß in der Anhörung des Deutschen Bundestages vom 19. Juni 1995 unter den Sachverständigen der völkerrechtliche Status Tibets streitig geblieben ist,

4. in Anbetracht dessen, daß es Politik der Bundesrepublik Deutschland ist, die Verwirklichung des Rechts auf Selbstbestimmung weltweit zu unterstützen, und daß aus der historisch-rechtlichen Situation Tibets der Anspruch auf Autonomie erwächst,

5. im Hinblick darauf, daß es Politik der Bundesrepublik Deutschland sein muß, unrechtmäßige Anwendung von Gewalt sowie massive Menschenrechtsverletzungen nicht hinzunehmen, die Menschenrechtsverletzungen in Tibet aber weiter anhalten,

6. tief besorgt über die Berichte, wonach ein sechs Jahre alter tibetischer Junge, Gedhun Chokyi Nyima, sowie seine Eltern von den chinesischen Behörden nur wenig später entführt wurden, nachdem der Dalai Lama ihn als jüngste Reinkarnation des zweitwichtigsten Führers Tibets, des 1989 verstorbenen Panchen Lama, bezeichnet hatte.

I. verurteilt die Politik der chinesischen Behörden, die im Ergebnis gerade auch in bezug auf Tibet zur Zerstörung der Identität führt, insbesondere mittels Ansiedlung und Zuwanderung von Chinesen in großer Zahl, Zwangssterilisierung von Frauen und Zwangsabtreibungen, politischer, religiöser und kultureller Verfolgung und der Unterstellung des Landes unter eine chinesisch kontrollierte Administration;

II. fordert die Bundesregierung auf, sich verstärkt dafür einzusetzen, daß

- die Regierung der Volksrepublik China die weltweit anerkannten Menschenrechte achtet und die Menschenrechtsverletzungen gegen Tibeter beendet,

- die chinesischen Behörden dafür sorgen, daß Gedhun Choekyi Nyima und seine Familie sofort freigelassen werden und in ihr Heimatdorf zurückkehren können,

- die chinesische Regierung jede Politik einstellt, welche die Zerstörung der tibetischen Kultur zu Folge haben kann, wie z.B. die planmäßige Ansiedlung von Chinesen in großer Zahl, um die tibetische Bevölkerung zurückzudrängen, und die Verfolgung der Vertreter der tibetischen Kultur,

- die Regierung der Volksrepublik China positiv auf die Bemühungen des Dalai Lama und der tibetischen Exilregierung um einen konstruktiven Dialog reagiert und über mehr Rechte für das tibetische Volk verhandelt,

- die wirtschaftlichen, sozialen, rechtlichen und politischen Benachteiligungen der tibetischen Bevölkerung aufgehoben werden, - alle politischen Gefangenen in Tibet freigelassen werden,

- auch zukünftig bei den Beratungen der VN-Menschenrechtskommission die Lage der Menschenrechte in Tibet Gegenstand besonderer Aufmerksamkeit und kritischer Diskussion sein wird,

- die in Tibet eingesetzten Mittel der Entwicklungszusammenarbeit den Tibetern zugute kommen und der tibetischen Bevölkerung angemessene Bildungschancen eingeräumt werden,

- den Umweltzerstörungen in Tibet Einhalt geboten wird,

- dem Verlangen des tibetischen Volkes, die tibetische Kultur und Religion zu erhalten, verstärkt Beachtung geschenkt wird, und die Bereiche ermittlet werden, in denen das deutsche Volk und die Bundesregierung Hilfe leisten können,

- in Konsultationen mit dem Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen geprüft wird, welche Hilfsmaßnahmen nötig sind, um insbesondere die Identität der tibetischen Flüchtlinge zu bewahren,

- ein effektiver Beitrag zur Ausbildung tibetischer Nachwuchskräfte, inbesondere durch Vergabe einer angemessenen Zahl von Stipendien bei deutschen Lehr- und Bildungseinrichtungen, geleistet wird,

- die vorstehenden Grundsätze und Maßnahmen auch innerhalb der Europäischen Union Anerkennung und Durchsetzung finden.

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