Anfang Dezember vergangenen Jahres ist in Berlin der Mitherausgeber der "Blätter" Gerhard Kade gestorben. Die intellektuelle und politische Landschaft Deutschlands ist um einen kritischen Geist und aufklärerischen Wissenschaftler ärmer geworden. Von seinem wissenschaftlichen Werdegang her ist Kade Ökonom mit traditioneller Ausbildung. Das Werk, mit dem er die Fachwelt schon früh einerseits beeindruckte, andererseits aber in nie verziehener Weise vor den Kopf stieß, war seine 1962 erschienene Habilitationsschrift über die "Grundannahmen der Preistheorie". Die dort vorgetragene Kritik an der Realitätsleere und dem tautologischen Charakter der mikroökonomischen Modelltheorie können als nach wie vor aktuelle und vernichtende Kritik an zeitgenössischen Nobelpreisträgern der Chicagoer Schule wie Milton Friedman oder Gary S. Becker gelesen werden. Sie schmerzte die Zunft umso mehr, als sie nicht aus den Reihen marxistischer oder sonstiger systemkritischer Theoretiker kam, sondern von einem gründlichen und auch formal brillant formulierenden bürgerlichen Ökonomen - der damit allerdings auch weitgehend zur persona non grata im etablierten Wissenschaftsbetrieb wurde.
In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist.