Helmut Kohl hat im Lauf der Jahre einen ganz besonderen Sinn dafür entwickelt, Werte und Traditionen der deutschen Sozialdemokratie gegen ihre aktuellen Repräsentanten hochzuhalten. Der Mannheimer Parteitag der SPD lag schon Monate zurück, als er dem Ereignis noch eine kleine Betrachtung hinterherschickte. Er habe es einfach nicht glauben wollen, daß diese ehrwürdige Partei imstande sei, über Nacht ihre Satzung außer Kraft zu setzen, um den Vorsitzenden zu stürzen. Seitdem wisse er sicher, daß in der SPD alles möglich sei. Helmut Schmidt, schon unterwegs nach Mannheim, kehrte bekanntlich um, als er aus dem Radio erfuhr, daß die Delegierten überraschend einen neuen Parteichef gekürt hatten. Seine Erinnerungen an das spannungsreiche Verhältnis zu Willy Brandt, jüngst in der "Zeit" nachzulesen, haben einen ähnlichen Effekt wie Kohls Spötteleien: Sie lassen das Führungspersonal der SPD als sehr illegitime Erben erscheinen.
Die Differenzen zwischen Brandt und Schmidt hatten Beispiel Nachrüstung - politisches Gewicht, und offenbar mußte viel Zeit vergehen, bis das Verbindende zwischen den beiden sozialdemokratischen Kanzlern wieder schwerer wog als Konkurrenz und Streit. Rudolf Scharping hingegen sieht auf Bildern, die gerade ein oder zwei Jahre alt sind, so aus, als sei alles lange, lange her.