Ausgabe September 1997

Dokumentation zur NATO-Osterweiterung

Erklärung von Madrid zur euro-atlantischen Sicherheit und Zusammenarbeit vom 8. Juli 1997 (Auszüge)

1. Wir, die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Nordatlantischen Bündnisses, sind in Madrid zusammengekommen, um der neuen NATO auf unserem Weg ins 21. Jahrhundert Gestalt zu verleihen. Bei der inneren Anpassung des Bündnisses sind substantielle Fortschritte erreicht worden. Als einen wesentlichen Schritt im Rahmen des evolutionären Prozesses der Öffnung des Bündnisses haben wir drei Länder eingeladen, Beitrittsgespräche aufzunehmen. Wir haben unsere Beziehungen zu den Partnern durch den neuen Euro-Atlantischen Partnerschaftsrat (EAPR) 1) und den Ausbau der Partnerschaft für den Frieden (PfP) 2) substantiell gestärkt. Die Unterzeichnung der Grundakte zwischen der NATO und Rußland am 27. Mai 3) sowie der Charta über eine ausgeprägte Partnerschaft mit der Ukraine 4) am morgigen Tag legen ebenfalls Zeugnis ab für unser Bekenntnis zu einem ungeteilten Europa. Wir sind ferner im Begriff, unseren Mittelmeerdialog zu verstärken. Unser Ziel ist es, Frieden und Stabilität im euro-atlantischen Raum zu stärken. Ein neues Europa ist im Entstehen begriffen, ein stärker integriertes und kooperatives Europa. Eine umfassende europäische Sicherheitsarchitektur bildet sich heraus, zu der wir gemeinsam mit anderen europäischen Organisationen einen Beitrag leisten. Unser Bündnis wird auch weiterhin eine treibende Kraft in diesem Prozeß sein. [...]

5. Auf unserer letzten Tagung in Brüssel erklärten wir, daß wir den Beitritt neuer Mitglieder als Teil eines evolutionären Prozesses und unter Berücksichtigung politischer und sicherheitspolitischer Entwicklungen in ganz Europa erwarfen und begrüßen würden. Zwölf europäische Staaten haben bisher darum gebeten, dem Bündnis beitreten zu dürfen. Wir begrüßen die Wünsche und Anstrengungen dieser Länder. Die Zeit ist gekommen, eine neue Phase dieses Prozesses einzuleiten. Die Studie über die NATO-Öffnung die unter anderem feststellte, daß die militärische Effektivität der NATO im Zuge der Öffnung des Bündnisses aufrechterhalten werden sollte -, die Ergebnisse des intensivierten Dialogs mit interessierten Partnern und die Analysen einschlägiger Faktoren in Verbindung mit der Aufnahme neuer Mitglieder haben eine Grundlage beschaffen, auf der der gegenwärtige Stand der Vorbereitungen der zwölf Staaten, die die Bündnismitgliedschaft anstreben, bewertet werden kann.

6. Heute laden wir die Tschechische Republik, Ungarn und Polen ein, Beitrittsgespräche mit der NATO zu beginnen. Unser Ziel ist es, die Beitrittsprotokolle auf den Ministertagungen im Dezember 1997 zu unterzeichnen und den Ratifikationsprozeß so rechtzeitig beendet zu sehen, daß die Mitgliedschaft zum 50jährigen Jubiläum des Washingtoner Vertrags im April 1999 wirksam werden kann. Während des Zeitraums bis zum Beitritt wird das Bündnis die eingeladenen Staaten im größtmöglichen Maß und wo dies angebracht ist in Bündnisaktivitäten einbeziehen, um zu gewährleisten, daß sie optimal darauf vorbereitet sind, die Verantwortlichkeiten und Verpflichtungen aus einer Mitgliedschaft in einem erweiterten Bündnis wahrzunehmen. Wir weisen den Ständigen Rat an, geeignete Verfahren zu diesem Zweck zu entwickeln.

7. Die Aufnahme neuer Mitglieder wird Auswirkungen auf die Mittel des Bündnisses haben. Dies bedeutet für das Bündnis, die Mittel zur Verfügung zu stellen, die die Öffnung notwendigerweise erfordern wird. Wir weisen den Ständigen Rat an, die konkrete Analyse der Auswirkungen der bevorstehenden Öffnung für die Mittel des Bündnisses unter Heranziehung der laufenden Arbeiten über die militärischen Folgen frühzeitig abzuschließen. Wir sind zuversichtlich, daß angesichts des heute in Europa vorherrschenden Sicherheitsumfelds die Kosten, die dem Bündnis durch die Aufnahme neuer Mitglieder entstehen werden, zu bewältigen sein und die für die Bestreitung dieser Kosten erforderlichen Mittel zur Verfügung gestellt werden.

8. Wir bekräftigen, daß die NATO nach Artikel 10 des Nordatlantikvertrages für neue Mitglieder offen bleibt. Das Bündnis wird weiterhin neue Mitglieder willkommen heißen, die in der Lage sind, die Grundsätze des Vertrags zu fördern und zur Sicherheit des euro-atlantischen Gebiets beizutragen. Das Bündnis erwartet, daß es in den kommenden Jahren weitere Einladungen an Staaten aussprechen wird, die willens und fähig sind, die Verpflichtungen und Verantwortlichkeiten der Mitgliedschaft zu übernehmen, wenn die NATO zu dem Schluß gelangt, daß die Aufnahme dieser Staaten den übergreifenden politischen und strategischen Interessen des Bündnisses dient und daß die Aufnahme die gesamteuropäische Sicherheit und Stabilität verbessern würde. Um diesem Bekenntnis Substanz zu verleihen, wird die NATO aktive Beziehungen zu denjenigen Staaten unterhalten, die ein Interesse an einer NATO-Mitgliedschaft bekundet haben, sowie zu den Staaten, die sich in Zukunft möglicherweise um eine Mitgliedschaft bemühen werden. Die Staaten, die bereits früher ein Interesse daran bekundet haben, NATO-Mitglieder zu werden, jedoch heute nicht eingeladen werden, Beitrittsgespräche zu beginnen, kommen weiterhin für eine künftige Mitgliedschaft in Betracht. Die in unserer Studie von 1995 über die NATO-Öffnung dargelegten Erwägungen gelten auch weiterhin für künftige Beitrittsaspiranten unabhängig von ihrer geographischen Lage. Kein europäischer demokratischer Staat, dessen Aufnahme die Ziele des Vertrags erfüllen würde, bleibt von diesen Erwägungen ausgeschlossen. Außerdem sollten zum Zweck der Stärkung der allgemeinen Sicherheit und Stabilität in Europa weitere Schritte im laufenden Öffnungsprozeß des Bündnisses die Sicherheitsbelange aller Verbündeten zum Ausgleich bringen. Zur Unterstützung dieses Prozesses ermutigen wir die Beitrittsaspiranten nachdrücklich, sich aktiv am Euro-Atlantischen Partnerschaftsrat und der Partnerschaft für den Frieden zu beteiligen, was ihre politische und militärische Einbeziehung in die Arbeit der Allianz weiter vertiefen wird. Wir beabsichtigen ferner, die vertieften Dialoge des Bündnisses mit denjenigen Staaten fortzusetzen, die eine NATO-Mitgliedschaft anstreben oder anderweitig einen Dialog mit der NATO über Mitgliedschaftsfragen zu führen wünschen. Zu diesem Zweck werden diese intensivierten Dialoge die ganze Bandbreite politischer, militärischer, finanzieller und sicherheitspolitischer Fragen erfassen, die sich auf eine mögliche NATO-Mitgliedschaft beziehen, ohne eine spätere Entscheidung des Bündnisses zu präjudizieren. Hierzu gehören Treffen im Rahmen des EAPR sowie regelmäßige Tagungen mit dem Ständigen Nordatlantikrat und dem Internationalen Stab der NATO sowie mit anderen NATOStellen, soweit angebracht. Im Einklang mit unserer Zusage, die Tür für den Beitritt weiterer Bündnismitglieder in Zukunft offenzuhalten, weisen wir die NATO-Außenminister ferner an, diesen Prozeß ständig zu überprüfen und uns zu berichten. Wir werden diesen Prozeß auf unserer nächsten Tagung im Jahr 1999 überprüfen. Mit Blick auf die Beitrittsaspiranten würdigen wir mit großem Interesse und berücksichtigen die positiven Entwicklungen in Richtung Demokratie und Rechtsstaat in einer Reihe von südosteuropäischen Ländern, insbesondere Rumänien und Slowenien. Das Bündnis würdigt die Notwendigkeit, größere Stabilität, Sicherheit und regionale Zusammenarbeit in den Ländern Südosteuropas aufzubauen und deren zunehmende Integration in die euro-atlantische Gemeinschaft zu fördern. Gleichzeitig würdigen wir die Fortschritte in Richtung größerer Stabilität und Zusammenarbeit, die die Staaten in der baltischen Region, die auch Beitrittsaspiranten sind, erzielt haben. Mit Blick auf die Zukunft des Bündnisses werden Fortschritte in Richtung auf diese Ziele für unser übergeordnetes Ziel eines freien, prosperierenden und ungeteilten Europas, in dem Frieden herrscht, wichtig sein.

1) Vgl. den Wortlaut des Grundlagendokuments auf S. 1145 dieser Ausgabe. - D. Red.
2) Vgl. den Wortlaut des Rahmendokuments in Blätter, 2/1994, S. 244 ff. - D Red.
3) Vgl. den Wortlaut der Grundakte in Blätter, 7/1997, S. 890 ff. - D. Red.
4) Vgl. den Wortlaut der Charta auf S. 1141 dieser Ausgabe. D. Red.

 

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