Ausgabe November 1998

Verlust der Mitte

Die Erosion der christlichen Demokratie

Ein solches Desaster hat in der Parlamentsgeschichte Nachkriegsdeutschlands noch kein anderer Parteichef angerichtet. Nach 16 Jahren Kanzlerschaft Kohl ist die Union bei Parlamentswahlen in den Bundesländern um zehn Prozentpunkte abgestürzt. Im Bundestag steht die Christliche Union am Ende der Kohl-Ära gar um mehr als 13% schlechter da als zu Beginn der bürgerlichen Koalition. Die CDU ist gleichsam in die frühen 50er Jahre zurückgefallen. Nicht einmal die Sozialdemokraten hatten am Ende turbulenter, quälerischer und destruktiver innerer Auseinandersetzungen zum Ausgang der sozialliberalen Regierungszeit eine derart katastrophale Bilanz vorzuweisen wie die Union nach den Bundestagswahlen 1998. Das hätte noch vor zwei oder drei Jahren niemand ernsthaft für möglich gehalten. 1995 taumelten die Sozialdemokraten von Krise zu Krise und schienen in ihrer Existenz als Volkspartei ernsthaft gefährdet. Die Union dagegen taxierten professionelle Kommentatoren des Politischen im Bereich absoluter Mehrheiten. Sensationell wirkte das nicht. Denn an diese Konstellation hatte sich das Publikum im Laufe der Bonner Republik gewöhnt. Die Christdemokraten erschienen nachgerade chronisch als die eigentliche Staats- und Regierungspartei, die den Sozialdemokraten in vielerlei Hinsicht machtpolitisch strukturell überlegen war.

November 1998

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