Zwar wird es nicht often ausgesprochen, doch in den Wandelgängen der Machtpaläste Roms ist es ein offenes Geheimnis, daß Staatspräsident Oscar Luigi Scalfaro im November die Aufgabe des neuen Ministerpräsidenten nicht gerne Massimo D'Alema anvertrauen wollte. Diese Lösung schien ihm jedoch ein weitaus geringeres Übel zu sein, als das Land mit Neuwahlen zu überziehen. Denn sie hätten - kurz vor der Einführung des Euro - zu einem Zeitpunkt stattfinden müssen, da nach außen politische Stabilität gezeigt werden mußte: der gemeinsame Eintritt in den Euro stand bevor. Politische Unwägbarkeiten für mehrere Monate an der Spitze der Exekutive, rechneten ihm auch die Finanzmagnaten vor, würden Italiens ohnehin über dem Limit liegendes Staatsdefizit weiter ansteigen lassen. Daß es jedoch zwei "Todfeinde" des ehemaligen Jungkommunistenführers D'Alema sein würden, die ihm die parlamentarische Mehrheit für die Wahl zum Ministerpräsidenten sichern sollten, darauf hätte wenige Monate zuvor wohl kaum jemand ein paar Lire gewettet.
In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist.