Auf dem Rabin-Platz in Tel Aviv fielen sich in der Nacht vom 17 auf den 18. Mai 1999 die Menschen um den Hals. Mehrere zehntausend Israelis hatte die Hoffnung, daß der nahöstliche Friedensprozeß endlich aus dem Koma erweckt würde, nach Schließung der Wahllokale dorthin geführt, wo im November 1995 die tödlichen Schüsse auf den israelischen Premier Itzhak Rabin gefallen waren. Bereits nach den ersten Hochrechnungen stand fest, daß der Vorsitzende der Arbeitspartei Ehud Barak neuer Regierungschef Israels werden würde. Seit Rabin unter den Kugeln eines rechtradikalen Israelis sein Leben gelassen hatte, war der mit seinem Namen untrennbar verbundene Prozeß mehr als einmal totgesagt worden. Die Hoffnungen der Feiernden ruhen nun auf seinem "Zögling" Ehud Barak. Die von Rabin und seinem Außenminister Shimon Peres begonnene vertragliche Beilegung des israelisch-palästinensischen Konflikts hatte dessen Nachfolger Benjamin Netanyahu drei Jahre lang nur unter beharrlichem Zureden der USA weitergeführt und war von Krise zu Krise gestolpert. Am Ende waren sowohl seine Parteifreunde im Likud als auch die Partner in seiner komplizierten Sieben-Parteien-Koalition des Opportunismus Netanyahus überdrüssig und zwangen den Regierungschef zum Rücktritt. Seinen polarisierenden Wahlkampf haben die Wähler nicht honoriert.
In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist.