Die These, daß die Börsenkurse immer weiter steigen, weil Washington es sich nicht leisten kann, sie fallen zu lassen, verweist auf einen neuen Aspekt des korporativen Sozialismus, American version: öffentliche Unterstützung für Kapitalanleger, gerechtfertigt mit dem Argument, wenn es für diese schlecht laufe, werde es allen anderen noch schlechter ergehen. Dies schließt den Rest der Welt mit ein, da niemals zuvor soviel ausländisches Geld an der Wall Street investiert wurde und weil die Weltwirtschaft, wie der Ökonom David Hale schreibt, von einem "stabilen US-Aktienmarkt abhängt, der es gestattet, Amerikas Rolle in der Welt als 'spender of last resort' aufrechtzuerhalten". Alle stecken tiefer mit drin, als ihnen lieb ist. Alan Greenspan könnte die "Spekulationsblase" - wenn es denn eine Blase ist mit einer einzigen ungeschickten Äußerung zum Platzen bringen. Als der Aktienindex noch 3 000 Punkte tiefer stand, löste seine Bemerkung über die "irrationale Überschwenglichkeit" der Anleger sofort einen Kurssturz aus.
In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist.